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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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her. Die Tafel ist mit zwei Schrauben befestigt, und es dauert eine Weile, ehe ich sie von der Wand montiert habe. Ich gerate ganz schön ins Schwitzen, ehe die Schrauben nachgeben. Ich gehe nach draußen zum Mülltonnenkeller, acht kleine Stufen, dort werfe ich die Tafel in eine Tonne. Die Tür zu den Kellern befindet sich gleich daneben. Ich drücke optimistisch die Klinke, doch die Tür öffnet sich und ich trete ein. Vor unserem Keller bleibe ich stehen, drehe den Türgriff, aber die Tür ist abgeschlossen. Langsam steige ich die Stufen zum Treppenhaus hinauf. Vieles geht mir durch den Kopf, und ich stehe lange vor der Tür zur Wohnung im Erdgeschoss links. Hinter ihr liegt meine Frühzeit. Was mache ich jetzt? So weit habe ich nie nachgedacht. Sollte ich etwas Bestimmtes tun? Etwas, das alle tun oder an meiner Stelle tun würden? Ich klopfe. Ich warte, aber nichts passiert. Klopfe noch einmal. Musik dringt aus der Wohnung gegenüber. Radio bestimmt. Die Zeit ist fleißig damit beschäftigt, das Meiste zu verändern, nichts scheint sie in Frieden lassen zu können, und doch übersieht sie die eine oder andere Kleinigkeit. Die Abdeckleiste über dem Türschloss zum Beispiel. Sie lässt sich noch immer so leicht abnehmen wie vor dreißig Jahren, ganz unverändert, kein Problem, sie ein Stück vom Rahmen wegzustemmen, das Schnappschloss mit einem Kuli einzudrücken, und schon öffnet sich die Tür. Jawohl, die Tür zur Vergangenheit geht auf, und ich trete ein in das Heim meiner Kindheit.
    Drinnen ist alles, wie es sein sollte, und doch anders. Die Wände sind die gleichen, da, die Fenster, das gleiche matte Winterlicht fällt herein, auch das Bad ist an Ort und Stelle, aber das rote Sofa ist weg, ebenso der graue Küchentisch. Jemand hat den Herd entfernt, der zwei ungleiche Frauen auf geheimnisvolle und manchmal beängstigende Weise miteinander verband. Ich kenne keinen zweiten Herd, der so viele alte, eklige oder missglückte Gerichte fabriziert hätte. Die eine der beiden Frauen vergaß manchmal, das Essen in den Topf zu füllen – und sogar das Wasser. Er brannte innen schwarz an und musste ersetzt werden. Oder sie vergaß, das Essen wieder herauszunehmen, legte einen frischen Schellfisch in den Topf und zog nach Tagen eine weiß verschimmelte Masse daraus hervor. Sie fluchte dabei so aus tiefstem Herzen, dass Schimpfworte seitdem in meinem Gedächtnis wie Feuerwerksraketen sprühen und funkeln. Der anderen Frau konnte es einfallen, im Fischladen einen Dorschkopf zu erstehen, ihn in den Topf zu werfen und so lange zu kochen, bis sich schließlich, wenn sie die Schöpfkelle in den Topf tunkte, der glänzende Fischkopf mit diesen einfältigen Fragen in seinen dummen Augen in eine sämige Grütze verwandelt hatte, die Vater und ich uns auf ihr Geheiß schmecken lassen sollten. Wir taten es.
    Ich gehe ins Wohnzimmer und lasse mich auf einen mir unbekannten Sessel fallen. Ich sehe mich um. Viel zu viel ist verändert worden. Die Wände sind nicht mehr weiß, sondern in einem grünlichen Ton gestrichen, und sogar der Teppichboden ist verschwunden. Der Teppichboden, der meine Schritte enthielt, die Schritte von Stiefmutter und Vater, die meiner Mutter, der Teppichboden, der jeden meiner Spielzeugsoldaten mit Namen kannte. Jemand hat ihn herausgerissen und stattdessen Parkett verlegt. Ich gehe in die Küche zurück, öffne sämtliche Schränke, finde kein Graubrot und keinen Trockenfisch, dafür liegt ein Apfel in einer Schale auf dem Tisch. Den nehme ich, gehe damit in die Abstellkammer, schließe mich ein und esse ihn. Die Dunkelheit ist so dicht, dass ich weder meine Hand noch den leuchtend roten Apfel erkennen kann. Jetzt kann ich so tun, als wäre ich zu Hause. Ich hocke in einer stockdunklen Besenkammer, futtere einen Apfel und suche eine Bezeichnung für mich. Ich gehe noch einmal ins Wohnzimmer, finde unter zweiundzwanzig Büchern im Regal ein Lexikon, blättere darin, lege den Finger auf Seite 457 und lese:
    Einbruch, der: Bei jemandem einbrechen (um etw. zu stehlen). Einbruchdiebstahl, Einbrecher
    Ich klappe das Lexikon zu, stelle es an seinen Platz zwischen den Gedichtsammlungen von Tomas Guctaundsson und Zeitgenössische Autoren zurück und schaue mich noch einmal um. Es gibt kaum etwas, das meine Neugier wecken würde. Im Schrank stehen drei Flaschen: Cognac Frapin, Absolut-Wodka und Ballantine’s Whisky. Ich übersehe geflissentlich die teuren Whiskytumbler aus Kristallglas und gieße mir Ballantine’s

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