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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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in ein Milchglas aus dem Küchenschrank, mache es halb voll, knie mich vor das Regal mit den CDs und finde A Hard Days Night von den Beatles. Ich schalte den Verstärker ein, lege die CD ein. Lange suche ich nach einem Blatt Papier, öffne eine Unzahl von Schubladen, viel zu viele, finde endlich einen Notizblock und setze mich damit an den Sofatisch. Ich gucke mir das Booklet von A Hard Days Night an, genehmige mir einen Schluck. Es gibt kaum etwas Besseres, als sich schon so früh am Tag einen anzusäuseln. Ich hole den Kugelschreiber heraus, und ein kühler Himmel sieht mir zu, wie ich mir Mühe gebe, deutlich zu schreiben, während ich nebenbei so nach und nach das Glas leere.
    »Wer in seine Vergangenheit einbricht, wird zum Einbrecher (siehe Lexikon, S. 457). Ich habe die Türabdeckung aufgestemmt und bin so hereingekommen – ihr solltet sie mal anständig festschrauben. Wieso auch nicht? Ihr habt ja sowieso alles umgemodelt. Oder wart ihr das nicht, die den Teppichboden rausgerissen haben? Dabei war eine lange Geschichte in ihn eingeschrieben, mindestens drei Bände, und ihr schmeißt so was auf den Müll! Habt ihr Schritte im Wohnzimmer gehört, ohne dass jemand im Raum gewesen wäre? Es tut mir Leid, den alten Herd nicht wiedergesehen zu haben. Ich hätte euch Geschichten erzählen können, die mit ihm zu tun haben. Ich habe, mit anderen Worten, einmal hier gewohnt und bin auf der Suche nach meinem Zuhause hier eingedrungen, habe aber nur einen Apfel, Whisky und eine CD gefunden. ›Zuhause‹ – warum setzt man im Lexikon nicht davor: veraltet, nicht länger gebräuchliches Wort. Ich weiß nicht, wie und weshalb wichtige Wörter ihre Bedeutung verlieren, aber wenn ich nach Zuhause zurückkehre, werde ich laut Wörterbuch zu einem Einbrecher. Mir fällt gerade ein, dass die Wörter ›Zuhause‹ und ›Heimweh‹ vor allem ein tiefsitzendes Verlangen nach den Menschen ausdrücken, mit denen wir uns verbunden fühlen. Zu denen zu kommen, zu denen du gehörst, zu denen du gehören willst, denen du verbunden bist oder mit denen du glaubst, verbunden zu sein. Bei diesen Menschen zu sein. Stimmt diese Interpretation? Keine Ahnung, aber wie es aussieht, ist ›Zuhause‹ zugleich das dunkelste und das hellste Wort der Sprache. Wir sollten es daher mit Vorsicht gebrauchen.
    PS Ich habe nur einen Apfel geklaut (das Gehäuse liegt im Mülleimer) und außerdem die CD A Hard Days Night, vor allem wegen der Stücke If I fell, And I love her und Things we said today. Außerdem habe ich Whisky aus dem Glas getrunken, mit dem ich diesen Zettel beschwere. Ihr wisst bestimmt, dass es sehr viel besseren Whisky gibt.«

13
    Meine Spielzeugsoldaten kennen den Namen meiner Mutter ebenso gut wie ihre Gewehre; manchmal sprechen sie ihn mir abends vor, spätabends, wenn die Dunkelheit lastet und die schwarze Magie des Schlafs an mir zieht. Ich träume viel, manche Träume sind merkwürdig, ich weiß nicht, woher sie kommen. Auf jeden Fall sind sie so groß, dass ich nicht weiß, wie sie überhaupt in meinen Kopf passen. Auch die Soldaten träumen, aber es sind kleine Träume, die ihren Köpfen nicht bedrohlich werden. Spielzeugsoldaten interessieren sich für Schulbücher. Wenn ich nach Hause komme, muss ich ihnen alles erzählen, was ich an dem Tag in der Schule gelernt habe. Aber freitags, wenn ich mit einem Kopf nach Hause komme, in dem es von Mengenlehre, der Einwohnerzahl Dänemarks und der Kohleförderung in der Tschechoslowakei brummt, schmeiße ich den Tornister aufs Bett, schüttele nur den Kopf auf die Fragen der Soldaten, gehe ins Wohnzimmer, setze mich mit einem Buch in einen der roten Sessel und tue so, als würde ich lesen, während Stiefmutter Staub wischt. Sobald sie in die Nähe des Fotos meiner Mutter kommt, fängt mein Herz wie rasend an zu schlagen, und die Spielzeugsoldaten in meinem Zimmer sehen sich beunruhigt an. Stiefmutter nimmt das Bild, ich sehe, wie das lächelnde Gesicht hochgehoben wird, Stiefmutter wischt über das Regal und stellt das Bild wieder ab.
    Darauf warte ich die ganze Woche. Ich denke daran, während ich den Hang hinab am Kindergarten vorbei zur Schule gehe, ich denke daran, während ich im Bastelunterricht mit der Laubsäge arbeite und uns der Kunstlehrer erzählt, wie wir uns zu benehmen haben, damit einmal richtige Männer aus uns werden. Ich denke daran, wenn Sigriður, unsere Klassenlehrerin, auf der Wandkarte auf Island zeigt und erklärt: »Das ist Snæfellsnes und da liegen die

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