Das Knochenhaus
Bresche.
»Können Sie etwas sehen?«, wollte Kit wissen und drängte sich zu seinem Freund vor.
»Objekte«, antwortete Thomas und trat wieder von den Blöcken herunter. »Der Raum ist angefüllt mit Grabbeigaben.« Er nickte Khefri zu. »Vorsichtig niederreißen.«
Die Ziegelsteine ließen sich nun schnell entfernen, und bald war der letzte der versiegelten Blöcke zur Seite gelegt. Thomas befahl, noch mehr Lampen anzuzünden. Eine davon reichte er Kit, zwei andere Khefri und Khalid.
»Nach Ihnen, Dr. Young«, sagte Kit und wies mit der Lampe auf den dunklen Eingang.
Der Archäologe zögerte.
»Da ich Sie als den Leiter und Kostenträger dieser Ausgrabung ansehe, bestehe ich darauf«, erklärte Kit feierlich.
Thomas nickte und trat zur Schwelle, hielt seine Lampe hoch und spähte in den dunklen Raum hinein. Bewegungslos stand er da – als ob er in der Haltung eines erwartungsvoll Suchenden erstarrt wäre.
»Dr. Young?«, sprach Kit ihn schließlich an. »Was sehen Sie?« Er blickte zu Khefri, der mit einer Hand sein Kinn umklammert hatte; seine dunklen Augen glitzerten im flackernden Lampenlicht.
»Unbeschreiblich«, flüsterte Thomas und drang nun weiter vor. Langsam drehte er sich um und winkte Kit und Khefri zu, sich ihm anzuschließen. »Sie sollten besser herbeikommen und selbst sehen.«
Die beiden traten durch den dunklen Eingang. Im schwachen Licht seiner Lampe erblickte Kit einen chaotischen Wall aus durcheinander geworfenen Gegenständen und Möbeln, die den Raum vom Boden bis zur Decke ausfüllten und die in jeden nur denkbaren Winkel hineingestopft waren: große und kleine Kisten; Truhen aus Zedern-, Linden-und Akazienholz; Wandschirme mit Gittermuster; zerbrochene Bettgestelle; Schemel, Fuß- und Kopfstützen; einfache und mit Schnitzereien verzierte Stühle; bronzegeränderte Kutschenräder und zerlegtes Gurtzeug; unzählige Gefäße in allen Größen und Formen; Waffen – Speere, Schwerter, Dolche und Wurfknüppel –, von denen einige zeremoniellen Zwecken dienten und andere für den Krieg bestimmt waren; eine Ansammlung von bemalten Stäben und Flegeln, die Amtssymbole darstellten. Zudem lag eine riesige Menge von kleinen Tonfiguren herum, die so ziemlich alles darstellten, was es einst in Ägypten gegeben hatte: von Kühen bis Flusspferden; Frauen, die Bier brauten; Männer, die Gerste anbauten; kahlköpfige Schreiber; halb nackte Sklaven; Göttinnen, deren Augen dick mit Kajal umrandet waren und die körperbetonte Gewänder trugen; eine große Zahl von Dienern, die ein ganzes Dorf bevölkert hätten, und vieles mehr. Es war, als ob man den gesamten Inhalt eines großen Antiquitäten-Ausstellungsraums bunt durcheinander in ein Behältnis gestopft hätte, das nicht größer war als das Wohnzimmer in Kits altem Zuhause – und dann alles für mehrere Hundert Weltalter weggeschlossen hätte. Außerdem war alles umhüllt von einer dicken Schicht aus puderigem ockerfarbenem Staub.
Kit wusste nicht, was genau er erwartet hatte, doch dieser Anblick machte ihn gleichwohl sprachlos. Irgendwo inmitten einer Ansammlung von Antiquitäten, die es wert gewesen wären, in einem eigenen kleinen Museum ausgestellt zu werden, lag die Meisterkarte und wartete auf ihre Entdeckung – und vielleicht gab es sie sogar noch in einem Stück. Sich diesem Gedanken hinzugeben war alles, was er im Augenblick tun konnte, um zu verhindern, dass er angesichts dieses wirren Haufens Tränen vergoss.
Thomas spürte etwas von Kits enttäuschter Erwartungshaltung und sprach ihm Mut zu. »Wir werden Ihren Schatz finden, mein Freund. Keine Angst! Wenn er da drin ist, werden wir ihn bald in der Hand haben.«
***
Im Verlauf der nächsten Tage wurde der Inhalt der Hauptkammer Stück für Stück ausgeräumt. Thomas nummerierte jedes Objekt und verzeichnete es in einem Buch, beschrieb es kurz und gab an, in welchem Zustand es sich befand.
Um das Verfahren zu beschleunigen, ließ sich Kit eine Art Beförderungssystem einfallen und überzeugte den peniblen Archäologen davon. Als Erstes hatte er vor dem kunstvoll behauenen Eingang ein Schutzdach errichtet, das sich bis zum Wadi erstreckte. In der großen leeren Kammer – Kit nannte sie den Tempel – hatte er Thomas Young an einen Tisch unter dem Schutzdach gesetzt. Kit selbst leitete die Arbeit innerhalb des Grabmals und sorgte dafür, dass jeder Gegenstand behutsam aus dem Chaos herausgenommen und dann entweder direkt zu Thomas getragen oder von Arbeiterhand zu Arbeiterhand
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