Das Knochenhaus
nickte. Das Wenige, das er über Ägypten wusste, hatte er bei Schulbesuchen im Britischen Museum gelernt. »Vielleicht aus dem Totenbuch «, mutmaßte er. Ein großer Brocken Verputz stürzte herunter und zerfiel in kleine Stücke; wo er sich gerade eben noch befunden hatte, war nun nacktes Mauerwerk aufgedeckt.
»Ah! Sie haben davon gehört. Aber natürlich haben Sie das. In Ihrer Zeit muss es sehr gut bekannt sein. Verraten Sie mir: Ist die Ägyptologie in Ihrer Welt eine gut entwickelte wissenschaftliche Disziplin?«
»Sie ist sehr populär«, antwortete Kit, der freilich bei diesem Thema in erster Linie an Mumien und an Filme über Mumien dachte. »Archäologie ist ein großes Geschäft in der Heimatwelt.«
»Und haben die Experten die vielen Rätsel gelöst, die durch die Hieroglyphen-Schrift aufgeworfen worden sind?«
»Nun«, begann Kit, »ich würde meinen –«
»Nein! Sagen Sie es mir nicht. Ich sollte das nicht wissen. Es war ein Fehler von mir, so etwas zu fragen. Ich habe Sie schon weit genug getrieben.« Er lächelte nervös. »Bitte entschuldigen Sie meine Unbesonnenheit. Ich vergesse mich manchmal.«
»Es ist ja nichts Schlimmes passiert«, erwiderte Kit freundlich. »Was ist schon ein wenig professionelle Neugierde zwischen Freunden?«
»Gleichwohl könnte professionelle Neugierde zu einigen sehr bedauernswerten Konsequenzen führen. Ein einziges Wort könnte die Zeit aus den Angeln heben – wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Vielleicht würde ich etwas sagen, das zu viel von der Zukunft enthüllt«, mutmaßte Kit.
»Und das könnte einen irreparablen Schaden verursachen«, fügte der Arzt hinzu.
»Oder etwas Gutes bewirken.«
»Ich bin nicht bereit, dieses Risiko einzugehen. Sie etwa?« Sein Blick wurde intensiv.
»Ich glaube nicht«, antwortete Kit, dem bewusst wurde, dass er seit dem Moment, als er hier aufgetaucht war, ganze Papierstöße mit Wissen über die Zukunft von sich gegeben hatte. »Lassen Sie uns noch einmal auf das Totenbuch zu sprechen kommen«, sagte er, um das Thema zu wechseln.
»In Wahrheit lautet sein Titel Buch vom Herausgehen am Tage . Wie ich bereits gesagt habe, müssen wir den gesamten Text noch entdecken, doch wir haben bereits viele Teilstücke und Fragmente aufgefunden.«
Thomas hielt einen Moment inne und sammelte seine Gedanken, bevor er aus dem Gedächtnis einen Vers zitierte:
Ich erwache im Dunkeln, weil die Vögel sich regen,
Ein Murmeln in den Bäumen, das Flattern der Flügel.
Es ist der Morgen meiner Geburt, der erste von vielen.
Die Vergangenheit liegt schlafend in ihren Laken geknotet.
Winde wehen, sodass sich die Fahnen über dem Tempel kräuseln.
Aus der Dunkelheit dreht sich die Erde zum Licht hin.
Ich fühle einen Wandel kommen.
Meine Gedanken flackern, glühen einen Augenblick und gehen in Flammen auf.
Singend gehe ich heraus am Tage.
»Das ist sehr gut«, sagte Kit anerkennend. »Mir gefällt es.«
»Es handelt nicht vom Tod, verstehen Sie, sondern vom Aufstieg ins ewige Leben. Für die Alten war der Tod einfach ein Auftauchen – ein Herausgehen – aus der Dunkelheit in das prächtige Licht eines neuen und besseren Tages. Sie waren fasziniert von der Unsterblichkeit – ja, geradezu besessen davon. Als eine große Kultur haben sie unermessliche Ressourcen eingesetzt, um ihr Verständnis vom Leben nach dem Tode zu erweitern; ihre Hoffnung war es, den Tod vollständig auszurotten.«
Ganze Abschnitte des Verputzes fielen nun auf den Boden, sodass sich Wolken aus dichtem weißem Staub bildeten. Khefri, der sich eine feuchte Kufiya um Nase und Mund gelegt hatte, wurde nun die Aufgabe übertragen, das Zerstörungswerk zu überwachen. Dann zogen sich Thomas und Kit zurück, um draußen zu warten, bis der staubige Abbau des Verputzes beendet sein würde.
Kit taumelte die Stufen hoch und stürzte hinaus in das helle Morgenlicht. Einen Moment stand er nur da und sah blinzelnd zum Himmel empor, der hoch oben in einem klaren Blau erstrahlte. Es schien ihm, als wäre er aus der Dunkelheit in das alles durchdringende Leuchten einer besseren Welt hinausgestolpert. Er machte ein paar Schritte, und nachdem er sich von der Atmosphäre des Grabes befreit hatte, fühlte er sich genötigt zu fragen: »Warum waren die Alten so in den Tod verliebt?«
»Wer hat Ihnen erzählt, dass sie in den Tod verliebt waren?«, erwiderte Young verwundert und zog ein weiches Tuch aus einer der hinteren Hosentaschen. Er nahm seine Brille ab und begann, die
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