Das Knochenhaus
weitergereicht wurde, bis es auf dem Tisch des Archäologen landete. Dort schrieb Thomas zunächst mit Sepia-Tinte eine kleine Nummer auf das Objekt, bevor er den Fund in seinem Bestandsbuch festhielt. Anschließend wurde das Artefakt zu der leeren Kammer befördert, in der Khefri die Lagerung der Funde überwachte. Dort würde man sie unter Bewachung aufbewahren, bis Thomas ihren Transport nach London und schlussendlich ins Britische Museum organisieren konnte.
Kit untersuchte persönlich jede Kiste, jede Truhe und jedes Gefäß, sobald das Artefakt die Grabkammer verließ. Hände, Kleidungsstücke, Haare und jeder Quadratzoll unbedeckter Haut wurden bleich vom Staub; und schon bald sah Kit aus wie ein gepuderter Geist. Mit einem feuchten Taschentuch, das er sich um die untere Hälfte seines Gesichts gebunden hatte, blieb er beharrlich bei seiner Arbeit. Und stets erwartete er, der nächste uralte Behälter, den er in die Hand nehmen würde, müsse die Karte enthalten. Hierbei vertraute er Thomas’ simplem Ausspruch, dass sie durch den Prozess der systematischen Ausschaltung möglicher Verstecke früher oder später den Schatz finden mussten. Aber auch wenn das Katalogisieren und Aufzeichnen der Funde eine logische, vernünftige und wissenschaftlich angebrachte Vorgehensweise war, so half sie doch in keiner Weise, Kits ständigen Drang zu lindern, einfach in die Grabkammer hineinzustürzen und anzufangen, die verschiedenen Behältnisse aufzubrechen, bis die Karte gefunden war. Und obwohl der Strom an interessanten Objekten aus der Grabkammer nicht enden wollte, fanden sie weder Gold – zum Beispiel in Form von Ringen und Armbändern oder an Gürteln und anderen Schmucksachen – noch die geschätzte Rolle aus menschlichem Pergament, die sie suchten.
Diese anspruchsvolle Tätigkeit wurde an jedem der vier Tage durchgeführt, die es brauchte, um die Grabkammer weitgehend auszuräumen. Am Morgen des fünften Tages entfernten die Arbeiter schließlich die zusammengefalteten Wandschirme aus geschnitztem Akazienholz, die an der hinteren Wand der Kammer standen: an der Mauer mit den Malereien, die verschiedene Ereignisse aus dem Leben des Hohen Priesters Anen zeigten. Alle Bilder waren präzise gezeichnet und auf beeindruckende Weise lebendig und naturgetreu.
»Mehr Lampen!«, rief Kit und schickte Khalid los, um Thomas und Khefri aufzufordern, herbeizukommen und sich die Meisterwerke anzusehen.
»Dies hier sind die Gemälde, von denen ich Ihnen erzählt habe«, verkündete Kit, als sie zu dritt mit hochgereckten Lampen vor der Wand standen und die vorzüglichen Darstellungen bewunderten.
»Ich muss einen Kunstmaler herbringen, sobald es nur möglich ist«, sagte Thomas. »Obwohl ich bezweifle, dass irgendeine bloße Kopie diesem Original gerecht werden könnte.« Er strahlte vor Glück, und sein Gesichtsausdruck wirkte im Licht der Lampen wie der eines Jungen unter dem Weihnachtsbaum. »Sie sind wundervoll.«
»Der da sieht wie mein Vater aus«, bemerkte Khefri leise. Er zeigte auf einen der priesterlichen Diener. »Und der da hinten – das genaue Abbild meines Cousins Hosni.«
»Hier drüben, Gentlemen!« Kit lenkte die Aufmerksamkeit der anderen zu einem bemalten Wandfeld, auf dem ein kahlköpfiger Priester direkt neben einem weißhäutigen Mann stand, der ein Gewand mit vielen Streifen in unterschiedlichen Farben trug. Es war an der Brust geöffnet und enthüllte eine Ansammlung winziger blauer Symbole auf seiner Haut. »Und hier präsentiere ich Ihnen den Mann selbst.«
»Auf mein Wort!«, keuchte Thomas. »Hier ist er wirklich.« Er suchte die Hieroglyphen unterhalb des Gemäldes ab, fand die, nach der er Ausschau gehalten hatte, und fuhr leicht mit der Fingerspitze über die Symbole. »Der Mann, der eine Karte ist.«
»Arthur Flinders-Petrie«, sagte Kit.
»Er war also hier«, hob Khefri hervor. »Und der Hohe Priester Anen kannte ihn.«
»Korrekt.« Kit trat zum letzten Wandfeld und verkündete im Tonfall eines Galeriebesitzers: »Und hier ist das Glanzstück.« Er wies auf die Figur des kahlköpfigen Priesters, der nun ein wenig älter und fülliger war; er stand da und hielt in seiner Hand etwas, das wie ein Fetzen Leder aussah. »Das«, erklärte Kit, »ist die Meisterkarte, wie sie einst existierte. Und sehen Sie: Anen zeigt mit der anderen Hand auf diesen großen Stern hinter sich. Um welchen Stern handelt es sich wohl?«
»Hm.« Thomas hielt seine Lampe näher ans Bild. »Es scheint sich um das
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