Das Knochenhaus
Tragejoche mit Milcheimern lasteten und die so ihre Ware zu den Wirtshäusern der Universität beförderten. Es gab Eisenwarenhändler, die Bratspieße und Wandleuchter verkauften, Bäcker, die mit Trögen voller frisch gebackenem Brot auf ihren Köpfen über den Platz eilten, und Händler in wackeligen Marktständen, in denen Kerzen, Bänder, Kleidungsstücke, Käse und Gewürze angeboten wurden. Ein Fleischer, der im hinteren Bereich seines offenen Wagens arbeitete, zerstückelte Tierkadaver entsprechend den Wünschen seiner Kunden; ein Kuchenverkäufer mit einem Handkarren pries lauthals seine Waren an; ein Bauer mit einem Traggestell voller kreischender gefesselter Hühner ging durch die umherschlendernden Menschenmengen spazieren. Und so ging es in einem fort: wie eine Realstudie für ein Brueghel-Gemälde.
Wie sich auch nur einer der Studenten auf ihren Professor konzentrieren konnte, der ein paar Dutzend Schritte entfernt eine Rede hielt, vermochte Douglas nicht zu begreifen. Doch der große, hagere Dozent, der auf einer Holzkiste stand, erhob seine Stimme über den allgemeinen Lärm und trug in akkuratem Latein feierlich seine Ausführungen zum Thema des Tages vor. Die Studenten saßen oder flegelten sich auf Strohballen, die man zu einem losen Halbkreis um den Redner herum zusammengezogen hatte. Sie waren in grüne und blaue Gelehrtenroben gekleidet, und ihre Gesichter unter den flachen Krempen der rechteckigen Hüte blickten ernst drein. Nicht wenige der Stadtbewohner waren stehen geblieben und hörten ebenfalls dem Dozenten zu; und manchmal riefen sie spöttische Antworten auf die rhetorischen Fragen, die vom berühmten Lehrer gestellt wurden.
Es war genau der Professor, um den zu sehen Douglas hergekommen war: der einzige Grund, weshalb er so gewissenhaft an seinen Lateinkenntnissen gefeilt, seine spezielle Kleidung zusammengestellt, die Geschichte, Sitten und Gebräuche jener Zeit studiert hatte, sodass er diesen Ausflug in die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts durchführen konnte. Und deshalb studierte Douglas ihn nun aufmerksam. Roger Bacon, ein gepflegt wirkender Mann mittleren Alters mit ernstem Gesicht, kräftiger Nase und hochgewölbter Stirn, war ein Doktor, Professor, Wissenschaftler und Theologe, der sich selbst als erste treibende Kraft auf den akademischen Feldern etabliert hatte, die seine Wissensgebiete darstellten: Anatomie, Medizin, Naturwissenschaft, Alchemie, Philosophie und Theologie. Er trug sein dunkles Haar kurz geschnitten und hatte wie jeder andere Mönch eine Tonsur. Seine einfache braune Franziskanerkutte wirkte sauber, obgleich sie an den Säumen und Ärmeln abgewetzt und ausgefranst war; und seinen Gürtel, der nur aus einem geflochtenen Seil bestand, hatte er fest zusammengezogen.
An einem Punkt seines Vortrags zwängten sich ein paar einheimische Jugendliche mit Gewalt nach vorne und begannen, laut zu sprechen: Auf rüpelhafte Art und Weise imitierten sie den auf seiner Holzkiste stehenden Professor. Durch ihr Verhalten begriff Douglas eine weitere Tatsache, auf die er bei seinen Recherchen gestoßen war – die kleinliche Eifersucht einiger Stadtbewohner auf diejenigen Mitmenschen, die zunehmend als Angehörige der Bildungselite betrachtet wurden. Douglas bemerkte, dass einige, wie die vulgären Tölpel hier, sich ungerecht behandelt fühlten von einem System, das diejenigen zu bevorzugen schien, die in ihren Augen Eindringlinge für kurze Zeit und verweichlichte Wichtigtuer waren. Tatsächlich etablierte der geachtete Mann der Wissenschaft sich selbst in der öffentlichen Meinung als einen der tonangebenden exzentrischen Dummköpfe, wenn nicht gar Schellenkappennarren – und zwar aufgrund seiner Neigung zu unorthodoxen Gedanken und seines unerklärlichen Verhaltens, das er häufig bei seinen verschiedenen Experimenten an den Tag legte.
Die Unruhestifter fuhren mit ihren ziemlich halbherzigen Versuchen fort, den Vortrag zu unterbrechen, bis zwei massige Büttel mit langen Spießen auftauchten und sie zum Weitergehen zwangen. Die Ordnung war wieder hergestellt, und das Symposium unter freiem Himmel ging weiter. Douglas wandte seine Aufmerksamkeit der Vorlesung zu und bemühte sich, ihr so gut er konnte zu folgen. Das Latein war vollendet – fließend und flüssig, eloquent und elegant im Ausdruck – und durch die Jahre akademischer Anwendung in einem so hohen Maße ausgefeilt, dass es für Douglas selbst dann, wenn er die gesprochenen Wörter kannte, schwierig war
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