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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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festzustellen, welche Bedeutung gerade übermittelt wurde. Die Studenten und ein paar vereinzelte Stadtbewohner schienen den Sinn von dem zu erfassen, was nach Douglas’ Schlussfolgerung vermutlich eine Abhandlung über die Natur des Universums und den Ort des Verstandes im Rahmen der menschlichen Vorstellung von Wirklichkeit war.
    Es konnte gut möglich sein, dass die Inhalte des Vortrags fesselnd waren. Aber Douglas musste all seine frisch erworbenen Fachkenntnisse der antiken Sprache einsetzen, nur um das Thema festzustellen: Den feinen Nuancen der Argumentation wirklich zu folgen lag weit jenseits seiner noch im Entstehen begriffenen sprachlichen Fähigkeiten. Dennoch besaß er eine grundlegende, allgemeine Idee vom Ablauf der Überlegungen, wenn nicht gar von etlichen Einzelheiten. Und sei’s drum ... Er war nicht hergekommen, um zu Füßen des gebildeten Professors zu sitzen. Schließlich war er auf einer weitaus wichtigeren Mission.
    »Snipe!«, zischte Douglas leise. »Wirf das ja nicht.« Er hatte gesehen, wie sein streitsüchtiger Assistent an einer verfaulten Birne herumfingerte, die er auf ihrem Weg zur Vorlesung aus der Gosse aufgegriffen hatte. »Lass das sofort fallen.«
    Der halbwüchsige Junge warf seinem Herrn einen unheilvollen Blick zu und hielt die überreife Frucht weiterhin fest in seiner Hand. Saft tropfte von seinen Fingern herab.
    »Lass es fallen!«, befahl Douglas. »Gehorche!«
    Mit einem trotzigen, höhnischen Grinsen gab der bleiche Junge die Birne frei. Die Frucht schlug mit einem dumpfen platschenden Geräusch auf dem Boden auf. Snipe stampfte mit dem Fuß auf ihr herum und rieb die weiche Frucht in den Schmutz hinein. Danach stand er starr vor Wut da und sah das Gesindel um sich herum finster an.
    »Guter Junge«, lobte Douglas ihn und versprach ihm etwas zur Beruhigung. »Später werden wir eine Katze für dich finden.«
    Die Vorlesung wurde schließlich beendet, und die Studenten begannen, zu zweit oder zu dritt fortzuschlendern. Rasch tauchten sie im allgemeinen Gewühl des geschäftigen Marktplatzes unter. Doch ein paar Studenten verweilten noch, um dem Professor Fragen zu stellen, und Douglas wartete, bis auch diese nachträglichen Aussprachen ihr Ende fanden. Als alle anderen fortgegangen waren, trat er auf den Dozenten zu.
    »Pax vobiscum, Magister Bacon« , begrüßte Douglas ihn, nahm seine runde Mönchskappe ab und vollführte eine fleißig geübte Verbeugung, mit der man seine Hochachtung vor dem Gegenüber zum Ausdruck brachte. »Deus vobis.«
    »Quid est?« , fragte der Professor, während er sich umdrehte. Als er Douglas’ Kutte erblickte, erwiderte er den Gruß. »Gott sei mit Euch, Bruder.«
    Douglas stellte sich als reisenden Priester vor, der hier zu Besuch weilte; er sei hergekommen, weil er nach Aufklärung in einer akademischen Angelegenheit suchte. »Ich frage mich nun, ob ich Euch in Eurer Unterkunft wohl aufsuchen darf, um diesen Gegenstand mit Euch zu besprechen.«
    »Mit Sicherheit würde das eine außergewöhnliche Freude für mich sein«, antwortete Magister Bacon. »Leider obliegen mir vielfältige Pflichten, und ich habe noch nicht eine Möglichkeit gefunden, die Zeit auszudehnen, um ihnen allen Rechnung zu tragen. Deshalb muss ich Euer Angebot, mich zu besuchen – so verlockend es auch sein mag –, betrüblicherweise ablehnen.«
    »Sicherlich«, erwiderte Douglas, der eine Antwort dieser Art erwartet und sich bereits eine Entgegnung darauf ausgedacht hatte. »Ich würde mir – weiß Gott! – niemals anmaßen, Euren Belastungen in irgendeiner Form eine weitere hinzuzufügen. Doch vielleicht interessiert es Euch zu wissen, dass ich aus dem Kloster Tyndyrn gekommen bin, wo ein überaus seltsames Manuskript in unsere Hände gefallen ist. Wie dies geschehen konnte, wissen wir nicht.« Er sah das Funkeln der Neugier, das in den dunklen Augen des Professors glitzerte. »Einige meiner Brüder glauben, dass Ihr vielleicht der einzige lebende Mensch seid, der den Text lesen kann.«
    »Dieses Manuskript, von dem Ihr sprecht ...«, sagte Roger Bacon und rieb sich über den Handrücken. »Was könnt Ihr mir darüber erzählen?«
    »Sehr wenig, Bruder. Wisst Ihr, es ist in keiner Sprache geschrieben worden, die jemals gesehen wurde. Zumindest nicht in einer, die unsere besten Gelehrten ermitteln können.«
    »Herzlichen Glückwunsch, mein Freund«, erklärte der erlauchte Professor und beugte seinen Kopf, sodass seine Tonsur genau zu sehen war. »Ihr habt es

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