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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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ausschließlich angetrieben von der Notwendigkeit, sich von den Verfolgern zu entfernen.
    Und so raste er auf seiner Flucht an der Abbiegung vorbei, die nach oben zum Pfad mit der Ley-Linie führte. Allmählich wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr länger in der Gegend war, die er zuvor gesehen hatte: Er befand sich zwar immer noch im Tal, doch es sah jetzt anders aus. Verzweifelt blickte er sich um und bemerkte, dass sich die gewaltigen Felswände der Schlucht weiter voneinander entfernt hatten. Auch war der Fluss hier breiter und flacher, er besaß eine Tiefe von nur wenigen Zoll und tanzte in kleinen Wellen über sein steiniges Bett.
    »Wo ist der verfluchte Pfad?«, murmelte er.
    Dennoch war er nicht gewillt, seinen Weg zurückzuverfolgen, sondern fühlte sich dazu getrieben weiterzugehen. Er fing an, nach einem Platz Ausschau zu halten, wo er sich verstecken konnte, und fühlte sich ermutigt, als er sah, dass in der Umgebung die Bäume größer waren und dichter zusammenstanden. Als der Fluss eine weitere scharfe Biegung nahm, entschloss sich Kit, die Route entlang des Wassers aufzugeben und sich zwischen den Bäumen einen Weg zu suchen. Nur einen Moment später traf er auf einen breiten Pfad, der aus nackter Erde bestand; er schlängelte sich durch den Wald und führte um die Stämme der großen Eichen und Lärchen vorbei. Hier war es einfacher zu laufen, und Kit entschied, die Distanz zwischen sich und seinen Verfolgern zu vergrößern. Und so lehnte er sich beim Rennen weit vor und hetzte wie ein Verrückter um sein Leben.
    Mit jedem Schritt trommelten seine Füße ein Mantra: Ich fühle mich gut. Ich fühle mich stark. Ich fühle mich gut. Ich fühle mich stark.
    Er fühlte sich wirklich gut und stark – bis zu dem Sekundenbruchteil, als er in die Falle stürzte.
    Von einem Schritt zum nächsten gab plötzlich der Boden unter ihm nach, und er fiel durch die Luft. Die Zeit schien sich auszudehnen, und alles wurde beinahe unerträglich klar: die goldenen Stäubchen, die in den schaftförmigen Sonnenstrahlen trieben; die sauberen Ränder von Farnblättern; ein gelber Schmetterling, der mit langsamen Schlägen seiner zierlichen Flügel über einer weißen Blume schwebte; eine Amsel, die von einem Ast über seinem Kopf die Flucht ergriff ... Die ganze Welt schien für die Dauer eines langen Atemzugs innezuhalten.
    Sein erster flüchtiger Gedanke war, dass er irgendwie einen Ley-Sprung durchgeführt hatte. Und dann schlossen sich die Wände der Fallgrube um ihn herum, und er stürzte im Halbdunkel eines tiefen, quadratischen Loches zu Boden, wobei eine ganze Menge zerbrochener Zweige und Blätter auf ihn herabregneten.
    Die Wucht seiner unsanften Landung trieb ihm die Luft aus den Lungen. Er blieb würgend liegen und versuchte, Atem zu schöpfen, doch er war nicht in der Lage, die Lungen wieder richtig zum Arbeiten zu bringen. Seine Sicht trübte sich und verschwamm zusehends. Als es dann schien, er würde aufgrund des Sauerstoffmangels das Bewusstsein verlieren, kehrte mit einem Zischen sein Atem zurück. Erschöpft und keuchend lag er anschließend wie ein zerbrochener Blasebalg da.
    Kit, der auf den Rücken gestürzt war, blickte hoch zu einem exakt quadratischen Fleck blauen Himmels. Das Viereck wurde von den Erdwänden des Loches eingerahmt, in dem er lag. Ohne sich zu rühren, machte Kit rasch im Geiste eine Inventur von sich selbst. Abgesehen von dem mächtigen Schlag, den er beim Aufprall in der Wildfalle erlitten und der ihm die Luft aus den Lungen gedrückt hatte, fühlte er keine Schmerzen. Ein gutes Zeichen , dachte er. Dann klopfte er mit den Händen seinen Körper vorsichtig ab. Immer noch war Minas Ley-Lampe und Sir Henrys grünes Buch sicher bei ihm verstaut. Und soweit er erkennen konnte, besaß er auch immer noch all seine Fähigkeiten. Er streckte einen Arm hoch, anschließend den anderen und fuchtelte mit ihnen herum. Danach schüttelte er seine Beine aus. Alles schien gut zu funktionieren. Somit hatte er sich keine Knochen gebrochen.
    Es wurde dunkler in der Grube, während er seine Inventur machte. Als er wieder zum Himmel emporschaute, sah er, dass in der quadratischen Öffnung über ihm ein Gesicht aufgetaucht war. Beim ersten flüchtigen Anblick dieses Gesichts erstarrte er – nicht vor Angst, sondern vor Verblüffung. Denn es war ihm einerseits sofort vertraut, andererseits aber vollkommen fremd. Kit erkannte es augenblicklich, wusste aber, dass er so etwas noch nie zuvor in natura

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