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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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hatte man den Eindruck, sie wären beinahe so breit, wie sie hoch war. Dennoch hatten sie kein Gramm Fett an sich, sondern bestanden vor allem aus harten, festen Muskeln – und davon gab es bei ihnen jede Menge.
    Sie starrten Kit erstaunt an, dann sich gegenseitig und anschließend wieder ihn – ihre breiten, ausdrucksstarken Gesichter zeigten reine Verblüffung angesichts eines so seltsamen Wesens an, das sie aus ihrer Falle herausgeholt hatten. Dann streckte das jüngere der beiden Geschöpfe nach einem Moment des Nachdenkens einen dicken, schmutzigen Zeigefinger aus und stieß Kit gegen die Brust, als ob es dessen körperliche Existenz überprüfen wollte. Es war die natürlichste Geste der Welt; allerdings führte sie dazu, dass Kits Knie zu wackeln begannen. Er schwankte und trat unwillkürlich einen Schritt zurück, woraufhin das Ältere den Arm ausstreckte, seine Schulter mit einer gewaltigen Hand vollständig umfasste und ihn mit einem Griff auf eine so sanfte, beruhigende Weise wieder ins Gleichgewicht brachte, dass Kit ob dieser Berührung beinahe in Verzückung geriet. Dann ließ sein Herz ein oder zwei Schläge aus, und ihm stockte der Atem, als die völlige Unmöglichkeit seiner äußerst merkwürdigen misslichen Lage über ihn hereinbrach: Er war von Höhlenmenschen gefangen genommen worden.
    Kits Herz pochte wild in seiner Brust, und er fühlte sich schwach und schwindelig durch die Woge von Adrenalin und die stürmischen Empfindungen, die mit Urgewalt durch seinen Körper strömten. Seine Gedanken jagten in alle Richtungen von ihm fort und ließen ihn mit einer einzigen, völlig nutzlosen Frage zurück: Was nun? Um Himmels willen – was nun?
    Ohne irgendeinen Laut oder ein Zeichen von sich zu geben, drehte sich plötzlich das ältere der beiden Geschöpfe um und begann wegzugehen. Nach ein paar Schritten hielt der große Jäger inne und zeigte Kit an, dass er ihm folgen sollte: eine seltsame Geste mit der gebogenen Hand – möglicherweise würde ein Kind eine Gebärde dieser Art gegenüber einem Spielgefährten vollführen. Kit war so in Angst, dass er unverzüglich gehorchte. Hinter ihm folgte der kleine Jäger, und so brachen die drei im Gänsemarsch auf. Für Wesen, die so stämmig wie sie waren, bewegten sich die beiden Urmenschen mit Anmut: Sie zeigten die geschmeidigen Bewegungen von wilden Lebewesen und waren dabei so still wie Schatten. Die einzigen Geräusche, die Kit vernahm, waren diejenigen, die er beim Gehen selbst verursachte – wie etwa das Rascheln von Gras, das vereinzelte Zerbrechen von Zweigen unter seinen Schuhen, das Knistern von trockenen Blättern.
    Ab und an blieb Großer Jäger, wie Kit den Älteren im Stillen nannte, plötzlich stehen und schnüffelte in der Luft auf eine merkwürdige, an einen Hund erinnernde Weise. Dabei blähten sich die Löcher seiner breiten, flachen Nase; und er schien die Luft sowohl zu schmecken als auch zu riechen. Nach jeder Überprüfung, dass keine Gefahr in der Luft lag, zog er weiter und warf einen flüchtigen Blick nach hinten zu Kit, als ob er sagen wollte: »Alles in Ordnung; wir gehen weiter.«
    Sie marschierten eine lange Zeit; und schließlich begann der Tag dahinzuschwinden. Inzwischen waren sie tiefer in den Wald eingedrungen, und die Bäume wurden immer größer, die Schatten immer dichter und dunkler. Über ihren Köpfen schlossen sich die Äste zu einem grünen Baumkronendach zusammen, und der Fluss verengte sich zu einem langsam dahinfließenden Bach. Ringsum wuchsen Moos und Flechten auf Bäumen und Felsen, und ein Geruch wie der von Pilzen erfüllte die Luft. Irgendwann hielten sie an, um aus dem Bach zu trinken – zuerst Kleiner Jäger, wie Kit den Jüngeren genannt hatte, dann Großer Jäger, wobei jeder der beiden über seinen Gefährten wachte, während dieser sich über das Gewässer beugte. Unterdessen schöpfte Kit mit den zu einer Schale geformten Händen Wasser aus dem Bach und trank es begierig. Danach setzten sie ihren Marsch fort und drangen immer tiefer in das bewaldete Tal ein. Sie hielten nur dann kurz an, wenn sie in der Luft schnupperten. Kit nutzte diese kleinen Ruhepausen, um verstohlen die Ley-Lampe zu überprüfen. Es bestand ja immerhin die Möglichkeit, dass er einen anderen Ley finden würde. Doch das Gerät zeigte keinerlei Anzeichen von Aktivität an.
    Nach der dritten oder vierten Pause stieß Großer Jäger ein barsches Schnauben aus und erhöhte das Tempo; mit langen, ausgreifenden Schritten

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