Das Knochenhaus
nichts, was darauf hinwies, der Ley könnte aktiv sein.
Kit kam der Gedanke, dass in der letzten Zeit das Instrument vielleicht zu oft Stöße erlitten hatte und durcheinandergerüttelt worden war, weshalb es nicht mehr funktionierte. Daher schob er es in die Tasche zurück und versuchte es mit einer anderen Methode: Er lief ein paar Schritte mitten auf dem Ley und achtete darauf, ob er etwas an seiner Haut spürte. Doch als sich kein Gefühl des Prickelns einstellte, blieb er stehen. Er holte tief Luft, bemühte sich, einen klaren Verstand zu bekommen, und begann dann, mit wohlüberlegten Schritten den schrägen Ley rasch hinaufzugehen. Er war voller Zuversicht, dass er nun aus dieser Welt hinausbefördert würde.
Erneut wurde seine Erwartung zunichte gemacht. Kit schloss seine Augen und versuchte es ein weiteres Mal. Doch als er die Augen wieder öffnete, stellte er fest, dass er sich noch immer am selben Ort, in derselben Welt und zur selben Zeit dort aufhielt. Wenn er überhaupt »gereist« war, dann waren es nur die paar Schritte zwischen dem Punkt, wo er gestartet war, und der Stelle, wo er angehalten hatte. Nun wurde er immer frustrierter und ein wenig verzweifelt. In rascher Abfolge führte er noch drei weitere Versuche durch, bevor er sich schließlich seine Niederlage eingestand. Der Ley war nicht offen und auch nicht aktiv.
Er gab auf und ging nach unten ins Tal zurück, um sich den wartenden Urmenschen wieder anzuschließen; während sie ihn beobachteten, lag auf ihren breiten, haarigen Gesichtern unbestreitbar ein Ausdruck von Sorge. »Tut mir leid, dass ich euch alle hier habe warten lassen«, entschuldigte sich Kit. »Ich werde es später erneut versuchen.«
In den nächsten Tagen versuchte er es tatsächlich wieder, und zwar insgesamt vier Mal – zwei weitere Versuche am Morgen und zwei am Abend. Und jedes Mal nahm er den anstrengenden Marsch von dem Ort, den er inzwischen Fluss-Stadt-Lager nannte, zum Ley auf sich. Vier Mal – und stets mit keinem besseren Ergebnis als vorher. Obwohl er sich gegen die Idee zur Wehr setzte, dass er nun hier gefangen war, musste er sich eingestehen, dass irgendetwas sehr schiefgegangen war. Um sich die Verzweiflung vom Leib zu halten, widmete er sich der Beobachtung seiner kleinen Gemeinschaft von Urmenschen; und die ganze Zeit über versuchte er sich daran zu erinnern, was er über die Steinzeit wusste.
Seine Kenntnisse darüber stammten, wie bei den meisten Leuten, aus Witzen und zweitklassigen Filmen. Waren dies die Höhlenmenschen aus den berühmten Zeichentrickfilmen? Waren sie die plumpen Dummköpfe, die auf die Jagd nach solchen Lebewesen wie Mastodonten, »Dire«-Wölfen und Riesenfaultieren gingen? Waren sie Untermenschen und Monster, die sich in einer Welt aus Dinosauriern und speienden Vulkanen auf scheußliche und bestialische Weise durchschlugen? Waren sie stark behaarte, einsilbige Höhlenbewohner, die in Bodenlöchern hausten? Waren sie wirklich irgendetwas von all dem?
Die erste Entdeckung, die Kit überraschte, war, dass er sie in seinen Gedanken nicht mehr länger als Primitive zu betrachten vermochte – und sie noch viel weniger als bloße Geschöpfe bezeichnen konnte. Seit der Nacht, in der sie ihr eigenes Leben riskiert hatten, um ihn vor der Bärin zu retten, waren sie in seinen Augen Menschen – wenn auch von einer fremden Rasse und Art. Kit verbrachte einen beträchtlichen Teil seiner Zeit damit, die blutsverwandtschaftlichen Beziehungen und die Hierarchie zwischen den Mitgliedern des Fluss-Stadt-Clans zu bestimmen. Großer Jäger schien der Häuptling zu sein, obwohl er nicht der Älteste war; es gab zwei Frauen, die nach Kits Einschätzung die ältesten Mitglieder dieser Gruppe aus sechzehn Individuen waren. Das Alter dieser Menschen lag zwischen drei, vier Jahren und ... nun, wie alt auch immer diese beiden Frauen sein mochten. Sie sahen jedenfalls aus wie sechzig oder siebzig. Doch aufgrund der Entbehrungen eines harten, arbeitsreichen Lebens als Sammler und Jäger, das diese Menschen führten, bezweifelte Kit, dass die Greisinnen und Greise auch nur annähernd so alt waren.
Der Clan bestand aus sieben männlichen und neun weiblichen Mitgliedern. Abgesehen von primären Geschlechtsmerkmalen wie Bärte und Brüste unterschieden sich die Männer und Frauen in ihrem Aussehen nur wenig: Beide Geschlechter waren von untersetzter, muskulöser Statur, dick und stämmig; beide hatten mehr oder weniger die gleiche Körperlänge, wobei die
Weitere Kostenlose Bücher