Das Knochenhaus
Kalender«, fuhr Khefri nun fort, »befinden wir uns im Jahre 1822.«
»Das ist schon besser«, befand Kit, obschon er sich überhaupt nicht sicher war, auf welche Bedingungen er im Jahre 1822 stoßen würde. Doch wie auch immer sie waren – es würden zumindest sehr viel angenehmere sein als jene, die im Mittelalter existiert hatten.
»Bitte treten Sie ein.«
Das Innere des Hauses war dunkel und die Luft schwer vom fettigen Geruch stark gewürzten Essens. Kit lief das Wasser im Mund zusammen, und sein leerer Magen knurrte. Was auch immer sie hier drin kochten, er war sich sicher, dass er so viel davon essen könnte, wie er selbst wog. Er trottete hinter seinem jungen Gastgeber her, der ihn durch das Erdgeschoss führte. Es bestand aus einem einzigen großen Raum, der durch einen gewebten Vorhang unterteilt wurde. Kleine Teppiche bedeckten den Boden, und Kissen in unterschiedlichen Größen lagen im ganzen Umkreis verstreut. In der Mitte des Raumes stand ein niedriger Tisch mit einer großen, runden Oberfläche aus gehämmertem Messing. Khefri führte seinen Gast zur Hinterseite des Hauses hinaus. Dort hüteten zwei Frauen und zwei junge Mädchen ein Holzkohlenfeuer, über dem sich ein sehr großer und sehr schwarzer Kessel befand, in dem es nur so brodelte.
Eine der Frauen breitete eine dünne Teigschicht auf dem Boden eines runden gusseisernen Gefäßes aus, um flaches Brot zu backen. Sie blickte auf, als Khefri näher trat; und ein besorgter Ausdruck zeigte sich auf ihrem runden Gesicht. Ein Wort von ihm genügte, und sie senkte den Kopf. Dann ergriff sie eine frisch gebackene Scheibe aus hauchdünnem Brot, riss sie entzwei und erhob sich. Sie schritt um das Feuer herum und bot Kit das Brot an.
»Das ist meine Mutter«, teilte Khefri ihm mit. »Ihr Name ist Mariam.«
Kit nahm das warme Brot mit einem Lächeln und einem Kopfnicken entgegen. »Wie sagt man ›Danke schön‹ auf Ägyptisch?«
»Shukran« , antwortete der junge Führer. »Sagen Sie einfach Shukran .«
Kit wiederholte das Wort und fügte noch ihren Namen Mariam hinzu. Die Mutter des jungen Mannes verbarg den Mund hinter ihren Händen und lachte; dann sprach sie eine Bemerkung zu ihrem Sohn, bevor sie zu ihrer Kochstelle zurückkehrte.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Kit.
»Meine Mutter hat gesagt, Sie sind sehr groß und nicht zu hässlich«, erwiderte Khefri. »Sie glaubt, Sie würden ein guter Ehemann für Bet sein – das ist meine älteste Schwester.«
»Bitte richten Sie ihr aus, dass ich zuerst zu ihr kommen werde, falls ich mich entschließen sollte, mir eine Frau zu suchen.«
Als diese Äußerung übersetzt wurde, war sie der Anlass für viel Gekicher unter den Frauen am Feuer. Die beiden jüngeren Mädchen blickten verstohlen auf ihren Besucher und lachten hinter vorgehaltener Hand.
Genau in diesem Moment kam Khefris Vater herbei. Mit stolzer Gestik legte er sich die Hand auf die Brust und sagte auf Englisch: »Ich bin Ramses. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Und ich bin sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Ramses«, antwortete Kit und streckte ihm die Hand entgegen. »Sie haben den Namen eines sehr berühmten Pharao.«
Der ältere Mann lächelte und nickte mit dem Kopf.
»Er spricht kein Englisch«, teilte Khefri seinem Gast mit. »Die Worte, die er gerade gesagt hat, sind die einzigen, die er kennt.«
»Sagen Sie ihm, dass Ramses ein sehr berühmter Pharao war. Jeder in England hat von ihm gehört.«
»Er weiß das. Allerdings ist Ramses nicht sein wahrer Name«, erklärte der junge Mann. »In Wirklichkeit heißt er Kopte. Ein sehr altmodisches Wort – zu schwierig, um es auszusprechen. Jedermann kennt ihn nur als Ramses.«
»Kopte?«, wiederholte Kit verwundert.
»Wir sind nämlich Kopten«, erläuterte Khefri. »Also Christen.«
»Ah.« Kit nickte. »Danken Sie bitte Ihrem Vater, dass er mir erlaubt hat, in sein Heim zu kommen. Ich fühle mich geehrt.«
Während Khefri die Worte seines Gastes wiedergab, lächelte sein Vater wohlwollend. Im Anschluss daran sprach Ramses zu seinem Sohn, der dann übersetzte: »Möge Gottes Frieden mit Ihnen sein während Ihres Aufenthaltes in unserem Land.«
»Shukran« , antwortete Kit.
Der Dorfälteste gab seinem Sohn und dem Gast ein Zeichen, ihm nach oben zum Hausdach zu folgen. Dort erhielt Kit einen Ehrenplatz im kleinen Pavillon – eine einfache, an drei Seiten aus Leinen und Brettern errichtete Konstruktion, die zum Schutz vor der Sonne von Palmwedeln bedeckt war. Kleine
Weitere Kostenlose Bücher