Das Knochenhaus
gefiel Xian-Li in Wirklichkeit die Aufmerksamkeit, mit der sie von den Trägern und ihrem Aufseher überschüttet wurde. Nach Wochen an Bord eines stinkenden Schiffes, das auf unsicheren Meeren hin und her schlingerte, war das langsame Schaukeln der Sänfte eine angenehme Abwechslung. Arthur hatte erzählt, dass der Herrscher dieses Landes auf der italienischen Halbinsel einst ein guter Jugendfreund von ihm gewesen war. »Aber das war vor vielen Jahren gewesen«, hatte er abschließend gesagt. »Die Dinge können sich ändern. Um sicherzugehen, werde nur ich an Land gehen und die Lage beurteilen. Wenn alles in Ordnung ist, kehre ich zu dir zurück.«
Somit war das Eintreffen der Sänfte – wenngleich unerwartet – ein Zeichen dafür, dass die Situation bei Hofe gut oder sogar besser war, als Arthur gehofft hatte. Xian-Li lehnte sich in die mit Federn gefüllten Kissen zurück und blickte prüfend über ein Land, wo sich sanfte Hügel über einem silbernen Meeresbogen erhoben. Dieser Anblick vermittelte ihr den Eindruck, als würde sie nach Hause kommen. Während die Träger aus dem Hafen und dann in die Stadt hochstiegen, spürte sie, wie sie ein Gefühl des Friedens und der Ruhe überkam: eine Empfindung von Wärme und Entspannung, die sie seit vielen Wochen nicht mehr verspürt hatte. Nach dem ersten Sprung hatte Arthur auf dem Standpunkt beharrt, dass in ihrem heiklen Zustand weitere Ley-Reisen einfach zu gefährlich sein würden. Xian-Li hatte allerdings so ihre Zweifel gehabt. Ein oder zwei weitere Sprünge wären wohl weitaus besser gewesen als diese Reise, von der sie schließlich geglaubt hatte, sie würde niemals enden.
Als die Träger und ihr übereifriger kleiner Aufseher schließlich den langen, schrägen Weg erreicht hatten, der zum königlichen Haus auf dem Hügel führte, stand sie bereits völlig im Bann Etruriens. Dann traf sie den König – und sein ungezwungener Charme und seine Art der Begrüßung verzückten sie so sehr, dass sie augenblicklich all die Mühsal vollständig vergab und vergaß, die sie erlitten hatte, um hierherzukommen.
»Meine geliebte Xian-Li«, sagte Arthur, als er sie dem König vorstellte, »würdest du bitte Turms begrüßen. Er ist Herr und König von Velathri – und ein sehr alter und teurer Freund von mir.«
»Ich bin deine Dienerin, mein Herr«, erklärte Xian-Li. Während Arthur ihre Worte übersetzte, begann sie, einen Hofknicks zu machen. Diese Bewegung führte sie aufgrund ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft recht ungeschickt aus, sodass sie aus dem Gleichgewicht kam und gefährlich schwankte.
Der König streckte rasch den Arm aus, packte sie mit festem Griff am Ellbogen und half ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden und sich aufzurichten. »Wir werden kein weiteres zeremonielles Verhalten mehr in diesem Haus zulassen«, versprach er ihr.
»Du bist sehr gütig«, entgegnete sie, nachdem ihr Ehemann die Worte des Königs übersetzt hatte.
Turms, der sie immer noch am Arm festhielt, führte sie zu seinem Platz auf dem roten Sofa. »Ich glaube, hier wird es dir genehmer sein«, sagte er und half ihr, sich niederzulassen. Dann wandte er sich an Arthur. »Ich muss dich zur Wahl deiner Braut loben, mein Freund. Sie ist außergewöhnlich schön. Du bist ein glücklicher Mann.«
Arthur bemerkte den fragenden Blick seiner Frau und erklärte: »Er sagt, du bist sehr schön, und ich sei ein Glückskerl.«
»Teile dem König mit, dass ich um sein Augenlicht fürchte. Ich bin ein hässlicher, aufgedunsener Wal.«
Turms lachte, als er ihre Entgegnung in seiner Sprache hörte. »Mögen alle Wale ein so hässlicher Anblick sein«, meinte er. »Kommt, lasst uns gemeinsam etwas trinken und eine Zeit beginnen, in der wir uns an unserer Gesellschaft erfreuen.« Der König rief nach Wein, der sofort gebracht werden sollte. »Und bring die silbernen Becher, Pacha.«
»Herr? Diese Becher sind stets nur an heiligen Tagen benutzt worden«, betonte der Diener in einem eindringlichen Flüsterton.
»Allerdings!«, rief der König. »Du hast also völlig recht, mich daran zu erinnern. Welche Gelegenheit, frage ich dich, kann heiliger sein als diese Begrüßung einer neuen Freundin und eines lange abwesenden Freundes? Zu Ehren dieses freudigen Tages werden wir den besten Wein trinken und mit dem erlesensten Festtagsgeschirr zu Abend essen. Ich, Turms der Unsterbliche, verkünde hiermit, dass heute in diesem Haus ein Feiertag ist.«
»Es wird erledigt, o großer König.«
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