Das Knochenhaus
Mina. »Danke, dass Sie sich einverstanden erklärt haben, uns zu treffen. Wir werden versuchen, Ihnen nicht zu viel von Ihrer kostbaren Zeit zu stehlen.«
»Habe ich recht verstanden, dass Sie Informationen haben, die meine Expedition nach Ägypten betreffen?«
»Genau, Informationen«, bestätigte Wilhelmina. »Und einen Vorschlag für Sie, den Sie überdenken sollten.«
Young machte keinerlei Anstalten, die Tür weiter zu öffnen oder gar die beiden Besucher hereinzulassen. »Einen Vorschlag«, wiederholte er und betrachtete Minas merkwürdiges Erscheinungsbild. »Darf ich wissen, um welche Art von Vorschlag es sich handelt?«
»Es betrifft die Entdeckung des Grabmals von Anen, dem Hohen Priester des Amun, und die Hebung einer Fülle von Schätzen, von denen viele noch nie zuvor gesehen worden sind.«
Der freundliche Gelehrte lächelte wissend. »Es tut mir leid, aber Sie irren sich, verehrte Dame. Ein solches Grabmal gibt es nicht.«
»Ich erlaube mir, anderer Meinung zu sein, verehrter Doktor. Das Grabmal existiert, ist aber bislang noch nicht entdeckt worden. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass es aufgefunden wird.« Mina beugte sich vor und gab ihr Geheimnis preis. »Und Sie sind der Mann, der es entdecken wird.«
Er starrte sie wohlwollend durch seine Brille an, eine professionelle Gewohnheit von ihm, die sich recht nachdrücklich zeigte. Ohne Frage war er es gewohnt, mit Menschen unterschiedlichster Verfassung umzugehen – alle Arten von schwächender seelischer und körperlicher Konstitution waren ihm vertraut. »Darf ich mir die Freiheit erlauben, zu fragen, wie Sie dies überhaupt wissen können?«
»Weil ...«, erwiderte Wilhelmina und zeigte ihm ihr aufrichtigstes und zuversichtlichstes Lächeln, »ich aus Ihrer Zukunft bin.«
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FÜNFTES KAPITEL
K it schlenderte ins Dorf: ein kleiner Bauernweiler, der aus niedrigen Lehmziegelhäusern bestand, die sich am Ufer des leisen, träge dahinfließenden Nils aufreihten und von dunklen, fruchtbaren Feldern umgeben waren, auf denen Bohnen und Speisekürbisse, Zwiebeln, Lauchstangen, Melonen, Sesam und Ähnliches wuchsen. All das wurde von einer lärmenden Begrüßungsgesellschaft aus Mischlingshunden bewacht. Die Häuser, wie Kit bemerkte, bestanden zumeist aus schmucklosen Lehmziegeln, doch einige wiesen eine zufällig blau oder grün verschmierte Wand auf. Die Gebäude waren durchweg tür-und fensterlos, und die meisten besaßen in ihren kahlen Hinterhöfen einen kleinen Ofen, der wie ein Bienenkorb geformt war. Die wohlhabender aussehenden Wohnhäuser hatten kleine leinenbedeckte, von Palmen umsäumte Pavillons auf dem Dach – zweifellos, um jeden umherziehenden kühlenden Lufthauch zu nutzen. Aber die Dächer der ärmlicheren Wohnstätten wurden gekrönt von Abfallhaufen, die in der Sonne brieten: Alle ausrangierten, verbrauchten Haushaltsgegenstände beendeten ihr zweckdienliches Dasein auf einem Dach – zusammen mit dem sich anhäufenden Unrat und Müll des täglichen Lebens.
Er bekam den ersten Hund zu sehen, als er das dritte Haus am Rande des Weilers passierte. Dem Tier gesellten sich rasch zwei weitere hinzu, in deren Schlepptau sich wiederum eine ganze Meute seltsamer Kinder befand. Sie alle – Hunde ebenso wie Kinder – starrten ihn mit ihren großen dunklen Augen an. Kit lächelte und winkte ihnen zu. Das brachte die Kinder dazu, fortzurennen und die Älteren zu suchen. Auf diese Weise wurde ein allgemeiner Aufruhr ausgelöst, mit dem man einen Fremden begrüßte, der aus der Wüste hinausgewandert war.
Kit war sehr erleichtert, als er bemerkte, dass seine ersten Kommunikationsversuche Erfolg hatten. In welcher Zeit er auch immer gelandet sein mochte – der Anblick von Abendländern war offensichtlich unter den Einheimischen geläufig genug, sodass er nicht augenblicklich Alarmbereitschaft hervorrief. Zumindest führte sein Erscheinen nicht dazu, dass die Menschen zu ihren Waffen eilten oder in Deckung rannten. Stattdessen trat – als sich eine kleine Menschenmenge um ihn versammelt hatte – ein dunkelhäutiger älterer Mann mit stoppeligem grauem Haar nach vorne und überreichte Kit einen Tonbecher, der mit Wasser gefüllt war. Kit nahm ihn lächelnd mit einem Kopfnicken entgegen. Er führte den Becher an seine Lippen und trank ihn hastig aus.
Der Mann beobachtete ihn und fragte: »Deutscher? Français?«
»Engländer«, antwortete Kit und wischte sich den Mund ab. »Parlez-vous Englisch?«
»Non«, erwiderte der Mann.
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