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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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einmal die Geschehnisse des Tages durch. Danach überkam ihn unverzüglich das Gefühl, dass alle Dinge ihre Richtigkeit hatten. Alles, was sich im Leben ereignete, geschah nicht ohne Grund. Zum Beispiel seine lange Bekanntschaft mit Arturos: die glücklichen Jahre, die sie in gemeinsamer Gesellschaft verbracht hatten; dann später sein eigener, sorgenschwerer Aufstieg zur Königsherrschaft und die darauf folgenden Jahre intensiven Studiums und angestrengter Vorbereitung – vielleicht hatte all das zu diesem heutigen Tag geführt, an dem in einer Zeit der Not die Freundschaft in Anspruch genommen werden konnte. Wie so oft war Turms wieder einmal beeindruckt, wie selbst die anscheinend unwichtigsten und geringfügigsten Handlungen und Verbindungen in der Fülle der Zeit über eine große Bedeutung verfügen konnten.
    Verachte nicht den Tag der kleinen Dinge ... War es so, wie es in der Welt lief? Dieser Satz war ein Sprichwort, das er in Alexandria von einem bärtigen Weisen aus dem Osten gelernt hatte: einem klugen Mann, der dem Kult des Jahwe anhing – des Gottes, der über alle anderen herrschte, wie behauptet wurde, der alle Dinge zu seiner Schöpfung erklärte und sie aufrechterhielt und den die Hebräer unter Ausschluss aller andern Götter anbeteten.
    Turms der Unsterbliche dachte darüber nach, und sein Herz schwang sich erneut in die Höhe angesichts der Kenntnis, dass es in den Augen des Weisen keine kleinen Dinge gab.
    Nach einer kleinen Weile – als die Sonne begonnen hatte, in ein Meer hinabzusinken, das wie geschmolzene Bronze aussah – stand er auf und entkleidete sich. Dann führte er im bronzenen Becken seine rituellen Waschungen durch, wobei er jede Handlung dreimal vollzog. Anschließend kleidete er sich in sein purpurfarbenes Gewand und setzte den Seherhut auf. Bevor er wegging, hinterließ er Anweisungen für Pacha, damit sein Hausverwalter zur angemessenen Zeit Arturos und dessen Gattin zur Zeremonie brachte.
    Mit wohlüberlegten, gemessenen Schritten ging der König langsam zum Tempel hinunter. Um seines Freundes willen durchsuchte sein Geist bereits die Myriaden von Pfaden der Zukunft.

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SIEBTES KAPITEL

    Z wei einsame, dick gegen die Kälte eingemummte Gestalten schlurften durch die schneebedeckten Straßen von Harrogate, einer Stadt, die ihnen völlig unvertraut war. Es waren eine Mutter und ihr kleiner Sohn: Die beiden waren mit einer Nachtkutsche aus London angereist und erst vor Kurzem hier angekommen.
    »Steh aufrecht«, wies die Mutter ihren Sohn an. »Achte auf deine Umgangsformen – so wie ich es dir gezeigt habe.« Voller Zweifel blickte sie auf ihn hinab. »Wirst du das tun? Versprich es mir.«
    Der Junge nickte; seinen kleinen Mund hatte er wegen der Kälte fest zusammengepresst.
    »Bald wirst du ein Gentleman sein«, fügte sie in einem milderen Ton hinzu. »Denk daran.«
    »Was ist, wenn ich ihn nicht mag?«, wollte der kleine Junge wissen.
    »Natürlich wirst du ihn mögen«, schalt sie ihn. »Er ist jedenfalls dein Vater. Und es spielt überhaupt keine Rolle, ob du ihn magst oder nicht.«
    »Warum?«
    »Weil er dein Vater ist – darum!«, entgegnete sie in einem Tonfall, der ihn wissen ließ, dass es keine weiteren Fragen mehr dazu geben durfte.
    Sie gingen weiter. Die frühmorgendlichen Straßen waren immer noch dunkel. Im tiefgefrorenen Dezember kam das Licht erst spät zu den Städten im Norden. Unter einer flackernden Straßenlampe hielten sie an, um sich ein wenig auszuruhen und aufzuwärmen, indem sie mit den Füßen aufstampften und in ihre nackten Hände hauchten. Ein paar Schritte von ihnen entfernt schloss ein Bäcker seine Tür auf, trat in seiner mehlverstaubten Schürze nach draußen und nahm die Klappläden herunter, welche die Fenster seines Geschäfts bedeckten. Mit einem Schwall warmer Luft wehte der Duft von frischem Brot nach draußen auf die Straße.
    »Ich bin hungrig«, piepste der kleine Junge, dessen Augen sich weiteten, als er auf die Bäckerei blickte.
    »Bald werden wir essen«, munterte ihn seine Mutter auf. »Dein Vater wird uns ein schönes Essen geben. Ich rechne damit, dass er alle Arten von guten Essenssachen hat, denn er ist ein vornehmer Gentleman und lebt in einem großen Haus mit Butlern, Dienstmädchen und Dienern und mit einer Kutsche und Pferden.« Sie nahm seine kleine, kalte Hand in ihre und zog ihn an der Bäckerei vorbei. »Vorwärts, Archie! Es ist am besten, wenn wir weitergehen, bevor es uns zu kalt wird.«
    Sie mühten

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