Das Knochenhaus
Räume für die Gäste des Königs hergerichtet worden waren. Als sich die beiden dort zur Zufriedenheit von Turms eingewöhnt hatten, legte er sein Staatsgewand an und ging hinab zum Tempel am Fuße des heiligen Hügels, um mit einigen Priestern über die Beschaffung der notwendigen Gegenstände für die Wahrsagung zu sprechen.
Der oberste Priester, ein ehrwürdiger alter Mann mit einem leichten Buckel, schlurfte in den Audienzraum, gerade als der König sich verabschiedete. »Mögest du Frieden im Überfluss haben, mein Herr und König«, sagte Sethre. »Ich habe gerade erst erfahren, dass du hier bist, denn ansonsten wäre ich früher gekommen.«
»Sei gegrüßt, Sethre; ich hatte nicht die Absicht, dich bei deinen Meditationen zu stören«, erwiderte Turms. »Ich bin nur hierhergekommen, um eine Wahrsagung vorzubereiten, die heute Abend stattfinden wird. Alles ist in Ordnung. Es war nicht nötig, dich zu stören.«
»Deine Gegenwart ist niemals eine Störung, o König«, erklärte der greise Priester mit ausgeklügelter Ehrerbietung. »Ich habe eine gute Neuigkeit für dich. Dein Grabmal ist beinahe fertig.«
»Das ist wirklich eine gute Neuigkeit«, sagte Turms und nickte anerkennend. Der Bau eines Grabmals war die erste, höchste und heiligste Pflicht eines Priesterkönigs. Seine eigenen Pläne waren zwar im Vergleich zu denen einiger seiner Vorgänger eher bescheiden zu nennen, nichtsdestoweniger hatte sich bei der Ausführung gezeigt, dass sie voller Komplikationen der unterschiedlichsten Art waren. Die Verzögerungen, die durch diese Schwierigkeiten hervorgerufen wurden, hatten die Fertigstellung des Grabmals während seiner Regierungszeit in immer weitere Ferne gerückt.
»Die Künstler haben mir versichert, das Grab werde vor der Tagundnachtgleiche fertig sein«, berichtete der alte Priester. »Die Einweihung kann also noch im Frühjahr stattfinden.«
»Gut gemacht, Sethre. Deine Erfahrung und dein Einsatz sind von unschätzbarem Wert gewesen.« Es war die Wahrheit: Der alte Mann hatte den Bau mit einer unermüdlichen Entschlossenheit geleitet. Was Turms verschwieg, war die Tatsache, dass ein Irrtum von Sethre zu dem ersten Rückschlag geführt hatte. Der Standort, der entlang des Heiligen Weges ausgewählt worden war, hatte sich aufgrund eines unerkannten Fehlers im Kalktuffgestein als vollkommen ungeeignet erwiesen: eines Fehlers, der eigentlich bei der Wahrsagungszeremonie – also schon lange vor dem Baubeginn – hätte entdeckt werden müssen.
»Ich habe gewusst, dass du erfreut sein würdest.« Sethre verbeugte sich und wandte sich zum Gehen. Dann zögerte er und fragte: »Das Ritual, mein König, das du heute Abend planst – wünschst du, dass ich dabei assistiere?«
»Das ist nicht nötig«, erwiderte Turms. »Es dreht sich um die Geburt eines Kindes.«
»Alsdann eine einfache Sache. Ich habe eine Taube, die sich dafür anbietet.«
»Nicht so einfach, wie wir es uns wünschten«, entgegnete der König, der anschließend von der Befürchtung erzählte, das Kind in der Mutter könnte möglicherweise tot sein. »Hast du dich jemals mit einem solchen Anliegen beschäftigt?«
»Nur ein einziges Mal, mein König. Es war vor vielen Jahren.« Er legte einen Finger auf seine geschürzten Lippen. »Ich habe damals einen Widder verwendet, soweit ich mich erinnere. Allerdings glaube ich nicht, dass ich jetzt einen Widder nehmen würde.«
»Nein?«
»Ein Lamm würde besser sein«, meinte der alte Priester. »Oder sogar ein Zicklein. Mit einem älteren Tier riskiert man zu viele erschwerende Faktoren. Es könnte das Ergebnis unnötigerweise vernebeln. Du brauchst ein junges Tier – und ein gesundes.«
»Ein weiser Ratschlag, Sethre«, lobte Turms. »Ich stimme deinem Urteil zu. Tja, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, würde ich dich an diesem Abend doch gerne dabeihaben, um mir zu assistieren. Sorg dafür, dass ein makelloses Lamm oder Zicklein vorbereitet wird.«
»Wie du willst, mein König.«
Zufrieden darüber, dass alles für die Zeremonie geordnet war, kehrte Turms zum königlichen Haus zurück. Nachdem er Pacha eingeschärft hatte, dass niemand ihn stören durfte, nahm er sich aus einer Schüssel, die auf einem Tisch vor seiner Kammer stand, eine Pflaume, verzehrte sie und ging in sein Zimmer. Er streifte sein Gewand ab und hängte es am Ständer neben der Tür auf. Dann legte er sich auf sein Bett und schloss seine Augen. Aber er schlief nicht.
Stattdessen ging er in Gedanken noch
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