Das Knochenhaus
doch du hast nur noch vier weitere Tage.«
Das Grübeln begleitete ihn bis zur letzten Stunde des letzten Tages.
»Der König hat mich gebeten, dich zu unterrichten, dass wir morgen früh bei Sonnenaufgang die Namenszeremonie abhalten werden«, teilte ihm der oberste Hauswirtschafter des Königs mit. »Zur angemessenen Zeit soll ich dann zu euch kommen und euch wecken.«
»Ah«, erwiderte Arthur. Er wunderte sich, dass die Tage so rasch verflogen waren. »Ich danke dir, Pacha. Bitte sag dem König, dass wir bereit sein werden.«
Als dann die Nacht sich ihrem Ende zuneigte und der Mond begann, über dem Tyrrhenischen Meer unterzugehen, gingen Arthur und Xian-Li über den mondbeschienenen Pfad zum kleinen Tempel am Fuße des Hügels hinunter. In ihren Armen trug Xian-Li den schlafenden Säugling. Es war das erste Mal, dass sie sich nach der Geburt des Babys draußen aufhielt, und es fühlte sich gut an, sich zu bewegen, die sanfte Nachtluft auf ihrem Gesicht zu spüren und die Welt erneut in Augenschein zu nehmen. Turms war seit der Geburt mehrmals gekommen, um nach ihr zu sehen, und sie wollte ihm für seine Bedachtsamkeit danken.
Als sie jedoch den Tempel erreichten, war er nicht da. Tatsächlich war dort niemand, mit Ausnahme eines jungen Akolythen, dem die Aufgabe übertragen worden war, ihnen mitzuteilen, dass die Namenszeremonie nicht im Tempel stattfinden würde. »Ich soll euch bitten, mir zu folgen«, sagte er leise zu Arthur. »Es ist nicht weit. Doch es steht ein Esel bereit, falls ihr reiten möchtet.«
»Es fühlt sich gut an, spazieren zu gehen«, erwiderte Xian-Li, nachdem Arthur ihr das Angebot übermittelt hatte.
»Danke schön, aber wir werden gehen«, beschied Arthur dem jungen Mann. »Zeig uns den Weg.«
Sie gingen weiter den Pfad entlang in Richtung Stadt und erreichten bald eine kurze Säule, die neben dem Weg stand. Der Akolyth blieb hier stehen und wandte sich seinen Begleitern zu. »Sie haben sich am Grabmal des Königs versammelt. Es ist am Heiligen Weg.« Er wies auf die kleine Säule und fuhr fort: »Ihr solltet euch waschen, bevor ihr den Heiligen Weg betretet.«
Das obere Ende der Säule hatte man ausgehöhlt, sodass sich dort eine flache Vertiefung befand, die mit Wasser gefüllt war. Der junge Mann führte vor, wie die symbolischen Gesten gemacht werden mussten, indem er seine Hände ins Nass eintauchte und sie dann über den Kopf und das Gesicht strich. »Auch das Kind«, fügte er hinzu, nachdem das junge Elternpaar seinen Anweisungen gefolgt war. Xian-Li tauchte ihre Fingerspitzen ins Wasser und schob den widerspenstigen Haarschopf beiseite; dann befeuchtete sie die Stirn des Kindes und seine zu winzigen Fäusten geballten Hände.
Der junge Akolyth führte sie vom Pfad weg und auf etwas zu, das nicht mehr zu sein schien als der Ansatz eines kleinen Hohlwegs – eine Stelle, wo der Boden weggebröckelt war oder wo ein Fluss im Laufe der Zeit weiches Erdreich ausgehöhlt hatte. Allerdings entdeckten sie schnell, dass die Veränderungen nicht auf natürliche Weise, sondern durch Menschenhand entstanden waren: In das weiche Kalktuffgestein, das sich unter dem Erdboden befand, hatte man Stufen gemeißelt.
Diese behauene Treppe führte immer weiter nach unten. Sie stiegen zwischen engen Wänden hinab, bis sie nicht mehr die Erdoberfläche sehen konnten, die sie hinter sich gelassen hatten. Unten endete die Treppe an einer Passage, die breit genug war, dass zwei Pferde nebeneinander hindurchgehen konnten, und sich sowohl nach rechts als auch nach links erstreckte. Fackeln waren angezündet worden; sie steckten in einfachen Wandhalterungen, die man in die weit nach oben ragenden Steinwände gemeißelt hatte.
»Das ist der Heilige Weg«, teilte der junge Mann ihnen mit.
»Wohin führt er?«, erkundigte sich Arthur.
»Er verbindet andere heilige Wege an anderen Orten«, antwortete der Akolyth. »Es gibt viele von ihnen im ganzen Land verteilt.«
Sie gingen weiter. Der Gang lag in tiefster Finsternis, obwohl am Himmel über ihnen schon der schwache Schimmer der aufgehenden Sonne zu erkennen war. Sie schritten an einem kunstvoll ausgearbeiteten Türdurchgang vorbei, der in den Kalktuff gemeißelt worden war: Säulen, die man ebenfalls aus dem Stein geschnitten hatte, stützten einen dreieckigen Giebel, in dem sich die Skulptur eines Mannes in langen Gewändern befand, der auf einem niedrigen Sofa lag. Im Architrav gab es eine Inschrift, die ein Name zu sein schien. Die Türen waren
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