Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
Vom Netzwerk:
kreiste ein Wirbel aus schwarzen Aasgeiern in trägen Schleifen am Himmel. Die unverhüllte Sonne schleuderte ihre Strahlen zur Erde, die wie ein Hammer auf einen armen Amboss trafen, der Kits pochender Kopf war: Erbarmungslos schlug die Sonne durch das dünne Tuch seines schweißgetränkten Turbans. »Ein Königreich für einen Strohhut«, murmelte er und schaute blinzelnd ins Sonnenlicht, das so heiß war, dass es fast die Augäpfel in ihren Höhlen austrocknete.
    Eine schier endlose Allee aus bleichen Sphinxen erstreckte sich vor ihm, ihr Ende verlor sich im flimmernden Hitzedunst. Irgendwo in dieser wabernden Fata Morgana lagen die Ruinen eines der antiken Weltwunder – der Große Tempel des Amun. Irgendwo im Tempelkomplex am Ende der Allee, so hatte man Kit informiert, würde er den Mann finden, der den Fluss stromaufwärts gekommen war, um ihn zu treffen. Er kniff mehrmals die Augen zu, um sich gegen das blendende Licht zu schützen, das von der mit weißen Steinen gepflasterten Straße zurückgeworfen wurde; dann begann er, sie entlangzugehen. Nach nur einer Minute wünschte er sich, er hätte nicht ganz so voreilig Khefris Vorschlag zurückgewiesen, für die Reise einen Esel zu mieten. »Der Weg zum Tempel verläuft doch schnurgerade, nicht wahr?«, hatte Kit ihm entgegnet. »Was kann denn daran schon unangenehm sein?«
    Um sich von der Hitze abzulenken, versuchte er sich vorzustellen, warum Wilhelmina so stark darauf beharrt hatte, dass er diesen Mann traf. Was wusste Young, das ihm helfen konnte? Außerdem fragte er sich, wie viel Wilhelmina diesem Burschen wohl von ihrer Suche erzählt hatte; und von der Antwort darauf hing ab, wie viel er selbst würde wagen können zu sagen. Das, entschied Kit, würde das Erste sein, was er herausfinden musste.
    Nach einer gemächlichen Bootsfahrt stromabwärts auf dem Nil und einem kurzen Halt, um nach einigem Feilschen den Turban zu erstehen, hatten Kit und Khefri sich die Hände geschüttelt und sich auf den Stufen des Winter Palace Hotel voneinander getrennt. » Shukran , mein Freund«, hatte Kit gesagt. »Wenn ich ein Boot brauche, werde ich wiederkommen und nach Ihnen Ausschau halten.«
    »Möge Gott Ihnen wohlgesinnt sein, Kit Livingstone«, erwiderte der junge Mann. »Leben Sie wohl.« Das Letzte, was Kit von ihm sah, war, wie er zum Boot zurückeilte und sich dort zu seinem Cousin gesellte.
    Entsprechend Wilhelminas Anweisungen stellte sich Kit dem Portier am Empfangstresen vor und fragte nach dem Paket, das auf ihn wartete, wenn alles gut gegangen war. Der Portier, ein kräftig gebauter Ägypter in einem schwarzen Mantelrock und mit Fez, verschwand im Büro und kehrte einen Augenblick später mit dem Paket zurück. Er hielt es in seiner Hand und beäugte Kit ungläubig.
    »Könnte dies das Paket sein, Sir?«
    »Wieso fragen Sie?«, erwiderte Kit. »Ja, ich denke schon.«
    Der Mann wog es mit seiner Hand ab, machte jedoch keinerlei Anstalten, es zu übergeben.
    »Darf ich es bitte haben?«
    »Haben Sie etwas für mich?«
    »Äh, nein«, antwortete Kit. »Ich glaube nicht.«
    »Überhaupt nichts?«, hakte der Portier nach.
    »Nein. Gar nichts. Warum? Ist denn vorgesehen gewesen, dass ich etwas für Sie habe? Mir ist nichts gegeben worden ...«
    »Vielleicht ein kleines Geschenk?« Der Mann betrachtete das Paket in seiner Hand.
    »Oh!«, entfuhr es Kit, als er plötzlich begriff, was sein Gegenüber meinte. »Ja, ich verstehe.«
    Der Portier lächelte.
    »Doch es tut mir schrecklich leid«, entschuldigte sich Kit. »Ich habe überhaupt kein Geld bei mir. Ich bin nämlich in der Wüste gewesen, verstehen Sie.« Er drehte eine leere Hosentasche nach außen. »Nix. Nichts. Tut mir leid.«
    Mit einem Achselzucken übergab der Mann das kleine Paket, und Kit schlenderte damit in die Lobby, um es dort zu öffnen. Es hatte etwa die Größe und Stärke eines althergebrachten Übungsbuches, war in braunes Papier eingewickelt und mit einer Schnur zusammengebunden worden. Dort, wo die Kordelenden zu einem festen Knoten geschnürt waren, steckte eine kleine, handgeschriebene Notiz, die an Kit adressiert war. Der Text lautete: Kit, öffne nicht dieses Paket. Bring es – ungeöffnet – zu Dr. Thomas Young, zur Grabungsstätte am Tempel von Karnak direkt außerhalb von Luxor. Du wirst ihn dort vom Spätfrühling bis zum frühen Herbst finden. Das Paket wird als dein Empfehlungsschreiben dienen. Er wird wissen, was getan werden muss. Vergiss nicht – ÖFFNE NICHT dieses Paket.

Weitere Kostenlose Bücher