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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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Nacht in der Morgendämmerung verblassen, so beginnt ein neuer Tag durch das Sterben des alten. Dies ist, wie es sein muss.« Turms schöpfte ein wenig Wasser aus der Schüssel und benetzte den Kopf des Babys. »Wir heißen dich willkommen, kleine Seele, in dem Leben, das wir alle auf dieser Welt teilen«, verkündete er nun; seine Stimme wurde so sanft wie die einer Mutter. »Dein Leben ist kein einsames, Kleiner.« Mit einer schnellen, geschickten Bewegung stach er mit der Messerspitze in die Fußsohle des Säuglings.
    Xian-Li unterdrückte ein Keuchen; und das Kind quietschte überrascht wegen des plötzlichen kurzen Schmerzes. Ein großer Tropfen hellroten Blutes quoll aus der kleinen Ferse hervor.
    Turms tupfte das Blut mit einem seiner Zeigefinger ab und zeichnete damit einen Punkt auf die Stirn des Babys; dann wiederholte er diese Geste dreimal: zuerst auf der Stirn von Xian-Li, dann auf der von Arthur und zum Schluss auf seiner eigenen. »Dieses Zeichen soll dich daran erinnern, dass dein Leben nicht deines allein ist: Es ist vermischt mit dem deiner Eltern und mit dem all jener, die vor dir gekommen sind und nach dir kommen werden. Es ist zudem vermischt mit dem der anderen im Hier und Jetzt, so wie deren Leben wiederum mit dem von anderen vermischt ist. Auf diese Weise sind wir alle ein Teil von allen anderen.«
    Das Baby, dem in der Morgenluft kalt und ungemütlich wurde, begann sich zu krümmen und gab ein Knurren von sich wie das eines Kätzchens oder eines Welpen. Der König lächelte und gab das Kind der Frau zurück, die noch immer die Windeln hielt. Sie wickelte den Säugling wieder in die weichen Tücher ein und reichte ihn erneut dem König.
    »Wir hoffen für dich, dass du wachsen wirst, um stark und tugendhaft zu sein – im Geiste und in der Tat«, erklärte Turms. »Und dass dein Leben ein Segen für dich und all jene um dich herum sein wird, egal, ob deine Reise durch diese Welt kurz oder lang ist. Lerne gut, kleine Seele, sodass das Wissen und die Weisheit, die du auf deinem Wege sammelst, dich stärken und stützen kann in deinem künftigen Leben.« Er hob seine Augen und wandte sich Arthur zu. »Unter welchem Namen wird dieses Kind bekannt sein?«
    Arthurs Mund begann, das Wort »Benjamin« zu formen, einen Namen, der, wie er entschieden hatte, einen gewissen Nachklang für ihn besaß. Doch seltsamerweise kam ihm der Name »Benedict« über die Lippen.
    Der König nickte. Er nahm die winzige Faust des Säuglings, tauchte sie ins Wasser und drückte sie dann gegen seine Brust. »Von Stund’ an sollst du Benedict heißen.«
    Xian-Li blickte zu ihrem Mann und formte mit dem Mund die lautlose Frage: Benedict?
    Die Zeremonie war beendet, und Turms gab das Kind seiner Mutter zurück. Die beiden Dienerinnen nahmen die Schüssel und das Messer wieder an sich.
    »Wartet!«, rief Arthur. »Ich wollte eigentlich Benjamin sagen.«
    Turms’ Lächeln wurde breiter; er warf den Kopf nach hinten und lachte laut. »Und trotzdem hast du es nicht gesagt.«
    »Aber –«, begann Arthur zu erwidern, doch der König fiel ihm sogleich ins Wort.
    »Es ist geschehen, mein Freund. Und es ist richtig so. Der Name, den du ihm gegeben hast, ist für ihn ausgewählt worden. Alles ist so, wie es sein muss.«
    Arthur beugte sich mit reumütiger Zustimmung der Entscheidung. Dann begaben sich alle auf den Rückweg zum Palast, um zu Ehren des Kindes und seiner Namensgebung ein Festmahl zu verzehren. Dabei schritten sie durch den Heiligen Weg zurück, vorbei an den stillen Grabmalen. Sie stiegen die Treppe hoch; und als sie oben ankamen, war die Sonne gerade über dem Horizont aufgegangen und blendete sie einen Augenblick lang. Arthur fühlte sich so, als ob er nach einer Nacht, die er im Grabmal verbracht hatte, zu einem neuen Leben auferstehen würde.
    Während sie den Hügel wieder hochgingen, beugte sich Xian-Li ganz nah zu ihrem Ehemann. »Warum Benedict?«, fragte sie. »Was bedeutet dieser Name?«
    »Ich bin mir nicht ganz sicher«, gestand Arthur. »Der Segnende oder der Gesegnete, glaube ich – oder etwas Ähnliches.«
    Xian-Li lächelte und hielt den Säugling vor sich hoch, um ihn anzuschauen. »Er ist unser Segen«, entschied sie, und die Peinlichkeit des Fehlers verschwand.
    In diesem Augenblick war die Welt wieder in Ordnung.

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VIERZEHNTES KAPITEL

    E in paar dürre Katzen und ein Bettler wühlten in den leicht schwelenden Abfallhaufen herum. Mit scharfen Augen für alles, was tot war oder im Sterben lag,

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