Das Koenigreich der Luefte
um die zweistöckigen Wohnwagen der Nomaden zu ziehen. Oliver starrte die Wohnwagen an: Sie waren echte Kunstwerke, gebaut wie kunstvolle hölzerne Galeonen, nur für den Einsatz auf dem Land. Viele Clans der Fahrenden waren in den letzten Tagen der Revolution aus den östlichen Ebenen von Quatershift nach Jackals geflohen. Die neuen Herrscher des Landes hatten die Freigeister als selbstsüchtig unproduktiv und nicht gemeinwohlorientiert eingestuft. Die so Beschuldigten wurden zunächst damit bestraft, dass man sie zwangsweise in eine organisierte Gemeinschaft einband, und es endete gewöhnlich damit, dass man sie in einen Gideonskragen steckte.
Harry beschloss, dass die Fahrenden für sie eine hervorragende Deckung bieten würden, um die restlichen Meilen bis Shadowclock zurückzulegen, und er machte sich gleich daran, sich an einem der Gerüste hinter dem Gasthof mit ihrem Anführer anzufreunden. Die beiden Männer lachten und sangen Trinklieder, die selbst in der unverständlichen Sprache, der sie sich bedienten – vermutlich ein Quatershift-Dialekt –, unanständig klangen. Schließlich kamen sie zu einer Übereinkunft, und Oliver und Dampfhieb wurden einem Wohnwagen zugewiesen. Hier saß Oliver nun zwischen dem schweigsamen Dampfmann und den unaufhörlich in schlechtem Jackalianisch schwatzenden Fahrenden, und er wünschte sich sehnlichst, vorn neben Harry reiten zu dürfen. Dessen Geschichten ergaben zumindest einen Sinn. Das Familienoberhaupt auf Olivers Wagen hatte beinahe gar keinen Hals, einen Kopf von der Form einer umgedrehten Kartoffel und saß ständig in sich zusammengesunken da. Wenn er nicht betrunken und irrsinnig glücklich war, dann machte er ein finsteres Gesicht und kratzte sich in seinem silberfarbenen Haar, während seine Pferde in stetigem Trott vorantrabten.
Aber das Essen war immerhin sehr gut: saftige, gebackene Schinken in einer gepfefferten Kruste aus Brotkrumen, die mit Schlehenwein hinuntergespült wurden. Für Oliver war es eine aberwitzige Erfahrung, leicht schwankend auf der Hintertreppe des Wohnwagens zu hocken und dem Knirschen der Räder zu lauschen, wenn diese über die Spreu und Spelzen fuhren, die von den Getreidefeldern herangeweht waren – dass er hier im warmen Sonnenlicht saß, während irgendwo die Mitglieder einer tödlichen Verschwörung sein Ableben planten. So war es vermutlich für die anderen Kinder in Hundred Locks gewesen, die nicht von einem Registrierungsbefehl der Irrnebelbehörde eingeschränkt wurden, wenn sie während der Urlaubswochen der Lehrer zu Verwandten in entlegene Gebiete von Jackals verschickt wurden – um dann mit ihren Cousins herabgefallene Birkenzweige für das Lagerfeuer zu sammeln und auf Waldlichtungen auf dem Rücken zu Hegen und die Wolken über den Himmel ziehen zu sehen.
Gelegentlich überholten andere Gespanne Olivers Wohnwagen. Er hatte überrascht festgestellt, dass einer davon einem Dampfmann gehörte, einem Metallgeschöpf, dessen Glieder mit Bändern aus grellem Stoff wie für ein Fest geschmückt waren. Er sprach nur Quatershiftisch, und aus Dampfhieb konnte Oliver lediglich die Bemerkung herauslocken, sein Dampfbruder leide an einem Defekt seiner kognitiven Funktionen.
Obwohl der schweigsame Dampfmann noch immer keine besonders unterhaltsame Begleitung war, hatte sich seine Einstellung Oliver gegenüber insoweit verändert, als der Junge nun jeden Abend das heilige Relikt aus der Waffenkammer putzen durfte – oder sogar musste. Noch immer war ihm nicht klar, um welche Art von Waffe es sich bei Lord Drahtbrand eigentlich handelte. Oliver erinnerte sich dunkel daran, bei seinem Onkel einmal einen klassischen Text über Kriegsführung gelesen zu haben, in dem es von Illustrationen mit viereckig eingezeichneten Regimentern und Pfeilen, die einzelne Manöver darstellten, nur so wimmelte. Demnach bevorzugten Dampfmänner Luftpistolen, die sie mit ihren eigenen Kesseln verbinden konnten, um Druck aufzubauen. Lord Drahtbrand sah nicht aus, als ob er eine Luftpistole sei. Sein schwarzes, panzerartiges Metall schwitzte ein seltsames, dunkles Öl aus, das jeden Tag abgewischt werden musste. Anschließend musste Oliver die Lappen, die er für das Reinigen des heiligen Geräts verwendete, gründlich auswaschen.
Ein knisterndes Geräusch ließ Oliver aufhorchen. Auf der anderen Seite einer kleinen Eichenlichtung flackerte ein offenes Feuer. Es reisten Hexen im Gefolge der Fahrenden, wunderschöne wilde Frauen, die aus den Flammen
Weitere Kostenlose Bücher