Das Koenigreich der Luefte
mehr Sorgen darüber, was mit seinem eigenen Hals geschehen würde, als dass er an seinen Onkel dachte.
Wenn man Onkel Titus festnahm, würde er in Hundred Locks keinerlei Aussicht auf Beschäftigung haben, und keine Zukunft, abgesehen von den kalten, unfreundlichen Toren des örtlichen Armenhauses. Bei dem Gedanken daran erschauerte er. Die Armen und vom Pech Verfolgten im Bezirk Lightshire hatten genug eigene Probleme; wenn man einen registrierten Jungen in ihre Mitte drängte, könnte sich das als der Tropfen erweisen, der das Fass zum Überlaufen bringen würde. Wie leicht war es dann, im Schutze der Nacht einen kleinen Unfall zu arrangieren? Man drückte ihm ein Kissen aufs Gesicht, und schon würde der unwillkommene Eindringling das Leben der Armenhäusler nicht mehr stören.
Seine graue Zukunft, gefangen zwischen den unsichtbaren Mauern seines Exilgefängnisses in Hundred Locks, wurde enger und enger, als er in unruhigen Schlaf sank.
3
Überwacher 40-6 bewegte das Teleskop mit dem Fußpedal einen Hauch weiter nach links. Es dauerte einige Sekunden, bevor die Übermittlungsmechanik die zahlreichen Spiegel neu eingestellt hatte, und das Bild, das sich in der aus Gummi geformten Gesichtsmaske zeigte, verschwamm kurz, bevor es dann mit einem Klack-Klack-Klack wieder scharf wurde. Aus dem Augenwinkel konnte 40-6 die anderen Überwacher sehen, die wie er die ausladenden Messingrohre hin und her schoben und auf den gepolsterten roten Sitzen hockten, die unter den großen, kanonenförmigen Teleskopen angebracht waren.
Die Fernrohre folgten in ihrer Anordnung dem Bogen des Monitorariums, der sich über die Innenwand der Kugel zog. Hinter ihren Geräten verlief ein durch ein Geländer gesichertes Gerüst, und hier schritten die Kontrolleure in ihren langen, vom Wolkenrat ausgegebenen grauen Mänteln über die Eisenplatten. Die Kühle, die im Monitorarium herrschte, war beinahe sichtbar, damit nicht etwa zu viel Wärme bei den Überwachungsvorgängen ablenkte.
»Ihr Bericht, bitte.« Es war Kontrolleurin 80-1. Sie war immer brüsk und gründlich. Die Drähte seiner Kopfhörer ringelten sich bis zum Gerüst, an dem ein Sprachrohr angebracht war, über das sich 80-1 nun gerade beugte. Die Kontrolleurin zählte zu den Neuen, die gerade frisch aus der Ausbildung kamen, und sie war eine von denen, die dachten, Berichte zu übermitteln und Bericht zu erstatten sei dasselbe. Er schnaubte geräuschvoll. Sie verfügte nicht einmal über einen Hauch der Weltensängerkunst, wie die Überwacher sie beherrschten. Sie stampfte mit ihren pelzgefütterten Stiefeln auf das Gerüst, um ihre Füße vor Frostbeulen zu schützen, weil sie nicht in der Lage war, ihren Körper mit Geisteskraft aufzuwärmen. Hätte sie nur einen Lederanzug getragen, so wie die Überwacher, sie hätte schon am Ende ihrer ersten Wache erfroren in einer Teleskopschlaufe gehangen. Sie konnte nicht einmal ihr Blut anpassen, um einen der vielen Tränke zu probieren, die den Beobachtern dabei halfen, während ihrer Schicht über Wochen hellwach und konzentriert zu bleiben.
»Dieses Gerät zieht noch immer ein wenig nach links«, beklagte sich Überwacher 40-6. »Ich dachte, das Teleskop sei schon einmal von einem Mechomaniker auf die Werkstattebene gebracht worden.«
»Hören Sie auf zu meckern«, zischte die Kontrolleurin. »Das ist eine Überwachung höchster Priorität – es könnte jemand mithören. Vielleicht sogar die alte Dame selbst. Wenn Sie bei dieser Aufgabe die Übersicht verlieren, werden die verdammten Analysten hier jeden Stein umdrehen. Geben Sie mir einfach Ihren Bericht.«
Der Überwacher hielt den Mund. Es mochte ja eine Überwachung höchster Priorität sein, aber offenbar immer noch nicht hoch genug, dass sein Fernrohr aus dem Monitorarium gebracht und zur Wartung ausgemustert wurde. »Der Aerostat mit der Zielperson erreichte fahrplangemäß Hundred Locks. Die Zielperson wurde zum Haus des Kontaktmanns gebracht, wie erwartet. Die Zielperson ist seit sieben Stunden dort geblieben. Haben Sie weitere Vorhersagen oder Anweisungen der Analysten?«
»Die Chance, dass die Zielperson weitere sechzehn Stunden im Haus bleiben wird, liegt bei siebenundachtzig Prozent. Fahren Sie mit der Kontrolle fort.«
Der Überwacher seufzte. »Bereiten wir uns also auf eine Nachtbeobachtung vor.« Er zog einen Trinkschlauch vom Teleskop und schluckte die orangefarbene Suppe, die dort heraustropfte. Sie wärmte seinen Schädel, und Funken
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