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Das Koenigreich der Luefte

Das Koenigreich der Luefte

Titel: Das Koenigreich der Luefte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hunt
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Arbeitszimmer, das in den kalten Winternächten von Hundred Locks nur durch die hier angebrachten Lüftungsgitter beheizt werden konnte. Wie Oliver bei anderer Gelegenheit bereits festgestellt hatte, gelangten durch den Schacht nicht nur Wärme nach oben, sondern auch Geräusche nach unten. Oliver näherte sich mit seinem Ohr der Öffnung. Draußen traten allmählich die ersten Abendsterne hervor. Noch vor Mitternacht würden alle siebzig Sterne zu sehen sein, nach denen das graue Sandsteingebäude benannt war. Sein Onkel und dessen Gast hatten ihre Stimmen nicht erhoben, und so musste Oliver sich anstrengen, Bruchstücke des Gesprächs zu erhaschen.
    »Schwierigkeiten – uns auf einen Fluchtweg verlassen -Kompromiss eingehen …« Sein Onkel.
    »Wenn es so ist – vermuten, dass – feindlicher Dienst – lernen …« Der undurchsichtige Stave.
    »Dieses Mal – bis zum – im schwarzen …«
    Oliver beugte sich so weit vor, wie er sich traute. Er vernahm ein vertrautes Klopfen. Sein Onkel säuberte seine Nuschelrauchpfeife an der Tischkante.
    »Werden sie kommen od …« Harry Stave.
    »Unsere Freunde aus dem Osten?« Onkel Titus.
    Aus dem Osten? Olivers Augen wurden groß. Das heilige Kikkosico-Imperium lag im Nordosten. Direkt östlich befand sich Quatershift – doch dort gab es keine Freunde. Nicht mehr seit dem Zweijährigen Krieg.
    Nach seiner Niederlage hatte die Gemeinwohlvertretung von Quatershift: die Landesgrenzen völlig abgeschottet und einen Fluchwall zwischen den beiden Nationen errichtet -zum einen, um die eigenen Landsleute daran zu hindern, ihr von Revolutionen geschütteltes Zuhause zu verlassen, zum anderen, um militärische Übergriffe der Jackalianer abzuwehren. Mit den Shiftern gab es offiziell keinen Handel, obwohl Schmuggler noch immer ganze Ladungen Branntwein an die Küsten anlandeten, wo es den Nachtjacken irgendwie gelang, sich nicht von den Besatzungen der Zollstationen erwischen zu lassen. Wie alle Kinder von Hundred Locks war auch Oliver stets davor gewarnt worden, sich nicht ins Hinterland östlich der Stadt zu verirren, wo nur die Schatten patrouillierender Aerostaten und hin und wieder eine Garnison der Rotröcke und Grenzwächter die Eintönigkeit der windgepeitschten Moore unterbrachen.
    »Ein schmutziges Spiel …« Harry Stave.
    »Schon jetzt – im Wind …« Onkel Titus. Mit einem schabenden Geräusch wurde ein Stuhl zurückgeschoben. »Zwei meiner Leute sind tot …«
    Tot! Oliver stockte der Atem. In welche faulen Geschäfte hatte Harry Stave seinen Onkel hineingezogen? Befanden sich in ihrem Warenhaus in Shipman Town Fässer unverzollten Branntweins? Waren vielleicht in einem kleinen, steinigen Versteck oben in den Bergen Zöllner ermordet worden?
    Während er noch darüber nachdachte, traf Oliver plötzlich eine neue Erkenntnis. Sein Onkel hatte ihm nie das volle Ausmaß seiner Geschäfte enthüllt. Oliver unternahm Botengänge und versuchte dabei, so viel Wissen wie möglich zu erlangen, und aus den Bruchstücken gelegentlich erzählter Geschichten entnahm er, welchem Kaufmann zuzutrauen war, dass er fairen Handel trieb, und welcher Schiffskapitän vielleicht in Versuchung geraten würde, Ladung zu unterschlagen. Dreh- und Angelpunkt aller Geschäfte war sein Onkel – niemand seiner Angestellten. Selbst Oliver erkannte, dass die Interessen der Leute im Lagerhaus sich niemals weiter erstreckten als bis nach Shipman Town – und das vermutlich auch gar nicht sollten. Steckte mehr dahinter als nur die reine Vorsicht? Oder war es nötig, dass die Linke nicht wusste, was die Rechte tat, damit Onkel Titus nicht eines Tages am falschen Ende eines Hanfseils vor dem Bonegate-Gefängnis schaukelte?
    Oben wurden wiederholt Stühle gerückt, und Oliver zog leise die Tür zum Salon zu, bevor er im Erdgeschoss in sein Bett kletterte. Damson Griggs hatte Harry Stave richtig eingeschätzt, so wie es den Anschein hatte. Aber wie sehr war sein Onkel in all diese Geschichten verstrickt? Oliver fühlte brennende Scham darüber, dass er bei dem Gedanken, dass sein Onkel ins Gefängnis geworfen werden konnte, nicht als Erstes an das Schicksal seines einzigen überlebenden Verwandten dachte, sondern sich um sein eigenes Geschick sorgte. Sein Onkel hatte damit, dass er einen registrierten Jungen unter seinem Dach aufgenommen hatte, den Ausschluss aus jenen Kreisen riskiert, die in Hundred Locks als die bessere Gesellschaft durchgingen, und nun machte sich der nichtswürdige Oliver Brooks

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