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Das Koenigreich der Luefte

Das Koenigreich der Luefte

Titel: Das Koenigreich der Luefte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hunt
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schockierten Freudenhausbewacher aufführten.
    Vielleicht war es das Blahatt, das noch durch ihre Blutbahn strömte, vielleicht auch die Erkenntnis, dass sie in den nächsten Sekunden sterben würde – Molly flitzte mit der Geschwindigkeit eines Fuchses, der in seinen Bau flieht, zum Kamin und den Abzug hinauf. Das kalte Gewicht der Dunkelheit schien sich an ihr vorbeizudrängen, die Luft saugte sie geradezu nach oben, und ihre Füße trotzten der Schwerkraft, als sie leicht von einem Stein zum nächsten zuckten. Ihre Finger waren für die kleinen Vorsprünge, die Kindern zum Festhalten noch genügt hätten, inzwischen schon fast zu dick. War das ein enttäuschtes Zungenschnalzen, das hinter ihr aus der Kaminöffnung empordrang? Wie lange würde es dauern, bis der alte Mann draußen ermittelte, wo im Gebäude er gewesen war, und sie aufspürte?
    Luft, Kälte, Nacht. Sie befand sich oben auf dem Dach, zwei Stockwerke hoch. Anhand der Silhouette der Häuser wusste sie, wo sie sich befand – im Westen von Sun Gate, auf einem großen Herrenhaus mit eigenem bewaldeten Park. Mit keuchendem Atem rutschte sie die eiserne Regenrinne hinab, und mit der übermenschlichen Geschwindigkeit, die sie irgendwie in sich entdeckt hatte, glitt der Boden unter ihrem Körper dahin. Sie sprang über Zäune, rannte um einen kleinen See, war ruckzuck über eine Mauer. Sie warf einen Blick zurück. Die Mauer überragte sie um das Doppelte. Sie hatte unmöglich darüberspringen können. Es musste an dem Blahatt Hegen.
    Wer im Namen des Zirkels war dieser alte Mann gewesen? Nein, das war die falsche Frage. Er war ein Meuchler -es war ganz eindeutig klar, dass er zu den professionellen Mördern zählte, die man im Königreich anheuern konnte. Ein Assassine. Die richtige Frage lautete vielmehr, wieso war er in ihr Zimmer gekommen? War Molly das Opfer gewesen? Sicherlich nicht. Damson Snell würde trotz ihrer Wanne voll ruinierter Wäsche keine wertvollen Guineen darauf verschwenden, dass irgendjemand die kleine Molly Templar in Stücke schnitt. Hatte er jemanden irgendwo in den anderen Räumen umgebracht und wollte nun sicher sein, dass er keine Spuren hinterließ? Aber weder sie noch Justine hatten etwas gehört. Und er hatte Mollys Namen gekannt, obwohl er den nicht hatte wissen können, und hatte etwas von Zeugen gesagt. Vielleicht hatte Justine etwas mit angesehen und durfte nun nicht weiterleben, damit sie es auf keinen Fall erzählte, während Molly nur zufällig dabei gewesen war. Der Mörder hatte doch sicherlich nicht auf sie angelegt?
    Molly war Zeugin keines Verbrechens gewesen, sah man einmal von dem Wissen darüber ab, dass der Büttel äußerst gern die Hand aufhielt, wenn es um Bestechungsgelder ging.
    Aber er war sie auf seine eigene fiese Weise losgeworden, indem er sie an Fairborn & Jarndyce verkauft hatte. Dennoch hatte der Killer ihren Namen gewusst. Und direkt nach ihr gefragt. Das war ein teurer Weg, ein billiges Leben zu beenden.
    Plötzlich fand sie sich vor dem Arbeitshaus von Sun Gate wieder. Unbewusst hatten ihre Füße sie wieder in ihr armseliges früheres Zuhause zurückgetragen. Die Flurlaterne brannte nicht. Bestimmt schliefen alle. Beklommen betrat sie das Gebäude. Würde der Büttel ihr ihre Geschichte glauben? Da in Lady Fairborns Etablissement ein paar Leichen lagen, würde der Vorsteher des Armenhauses kaum eine andere Möglichkeit haben. Vielleicht würde Lady Fairborn ihre Verluste abschreiben und sie hinauswerfen, weil sie Unglück brachte. Das hatte sie im Freudenhaus ebenso bewiesen wie im Hochhaus von Blimber Watts.
    Die große Flügeltür zur Einganshalle stand leicht offen, und der Stuhl der Nachtwache war leer. Falls der Büttel den Jungen oder das Mädchen erwischen würde, das sich vor diesem nächtlichen Dienst gedrückt hatte, würde es eine kräftige Tracht Prügel geben. Sie wandte sich nach links und ging die wacklige Holztreppe zum Keller hinunter, wo der Mädchenschlafsaal lag.
    Seltsam. Es war noch keine zehn Uhr, nur eine Stunde nach der Sperrstunde des Hauses, und eigentlich hätten hier zumindest ein paar billige Talgkerzen brennen sollen, während die Waisen irgendwelche Schundheftchen lasen, sich unterhielten und die Früchte aßen, die sie aus den Mülltonnen am Magnet-Markt geklaut hatten. Molly griff nach einem Streichholz und zündete ein Licht an.
    Vor ihr lagen die umgekippten Bettgestelle aus billigem Sperrholz, dazwischen hier und da Bettdecken aus Hanf. Aber nicht nur

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