Das Koenigreich des Sommers
etwas werden wir nicht tun.«
»Ach, Rhys, wir brauchen ein Pferd. Komm, wenn du willst, kannst du ja dafür sorgen, daß der Besitzer des Pferdes hinterher bezahlt wird.« Mir gefiel der Gedanke nicht, ein Pferd von irgendeinem armen Bauern zu stehlen, aber vielleicht hatte sie recht. Einen Augenblick lang kämpfte ich mit meinem Gewissen und fragte mich, was mein Vater wohl dazu gesagt hätte.
Wenn er an meiner Stelle wäre, dann würde er das Pferd nehmen, meinte ich schließlich.
»Nun gut. Wenn wir ihn anschließend bezahlen. Aber glaubst du nicht, wir könnten denjenigen aus dem Weg gehen, die Morgas geschickt hat? Wenn die Straße nach Süden so leer ist wie diese hier, dann können wir auf weite Entfernung sehen, ob jemand kommt. Lange, bevor er uns erreicht.«
»Es sei denn, Medraut kommt.« Eivlin wurde sehr ernst.
»Du glaubst also nicht, daß er schwer verletzt ist?« fragte ich hoffnungsvoll.
Eivlin schüttelte den Kopf. »Wenn er krank ist, dann findet meine Herrin eine Möglichkeit, ihn schnell zu heilen. Und auch er kann Zauberei dazu benutzen, uns zu finden.«
Das klang wie die Wahrheit. »Dann werden wir ein Pferd stehlen müssen. Oder zwei Pferde. Wir lassen dann das Pony zurück. Und wir können noch hoffen, daß sie nicht schon an uns vorbei sind.«
Eivlin nickte. »Vielleicht brauchst du nur ein Pferd«, fügte sie leise hinzu.
»Du wirst nicht sterben, weißt du noch? Komm, wir wollen uns beeilen und sehen, was wir vor der Dunkelheit finden können.«
Der Nachmittag war einer dieser langen, müden Nachmittage des Frühlings, bei denen einem klar wird, daß der Sommer nicht mehr weit ist. Die Berge waren alle grün, und blau in der Entfernung. Nirgendwo war mehr Schnee zu sehen. Wenn das Land zu unserer Rechten flacher wurde, dann sahen wir die Irische See, die ruhig und blaugrau im Sonnenlicht lag. Eivlin schaute das Meer wehmütig an. Sie mochte die Idee mit dem Boot noch immer lieber.
Es ist seltsam, aber trotz der Tatsache, daß wir um unser Leben liefen, in einem fremden Land, müde, hungrig, krank in meinem Fall und voller Angst vor dem Tod in Eivlins Fall, trotz allem waren wir fröhlich wie die Heidelerchen. Der Nachmittag war wunderschön, und es schien uns, als ob er ewig dauern würde. Wir waren entkommen, wir waren frei, wir liebten uns, warum sollten wir nicht glücklich sein? Der Anblick der See brachte Eivlin dazu, Geschichten von den Ynysoedd Erch zu erzählen, und ich antwortete mit Geschichten von meiner Familie. Wir lachten wie ein paar Idioten auf einer Kirchweih. Langsam, ganz langsam glitt die Sonne den Himmel hinab, schien schräg in unsere Augen und ließ die Schatten hinter uns länger werden.
»Und deshalb«, schloß Eivlin eine ihrer Geschichten ab, »kämpfte Eoghan einen großen und mächtigen und schrecklichen Kampf gegen Ronan, um sich für das Bootsrennen zu rächen, und er besiegte ihn gründlich. Denn abgesehen von Medraut ist er der beste Kämpfer in Lots Truppe.«
»Medraut ist also wirklich ein guter Kämpfer, was?«
»Bei der Sonne! Seit damals, als er zum erstenmal zur Ausbildung das Haus der Knaben betreten hat, wirkte er wie ein Windhund unter Haushunden. Wenigstens sagen das alle Krieger. Und dennoch. Er kämpft nicht viel. Diejenigen, die er benutzen will, bezaubert er, und durch sie zwingt er dann die anderen Krieger, ihm zu gehorchen. Sie haben alle Angst vor ihm, denn er kann mit ein paar Worten den Ruf eines Mannes ruinieren und alle anderen gegen einen einzelnen aufhetzen, und dann ist da auch noch die Zauberei. Einmal, wirklich, da hat er.«
Eivlin hielt abrupt inne und blieb stehen. Sie starrte nach vorn.
»Da hat er was?« fragte ich.
»Rhys.« sagte sie. Ich schaute auch vorwärts. Ich konnte nichts sehen als die leere Straße, die in der Abendsonne dalag. Ich fragte mich, ob sie wohl etwas auf der Lichtung vergessen hätte, wo wir geschlafen hatten.
»Was ist denn?«
»Was los ist? Siehst du es denn nicht?« Ihr Blick war starr, sie hatte den Kopf zurückgelegt, so daß die Schatten in der Höhlung ihrer Kehle zitterten.
Ich schaute wieder hin. Wieder konnte ich nichts als die Straße sehen. Aber Eivlins Hand zitterte, und das Pony legte die Ohren zurück und begann unruhig hin- und herzutreten. Es schnaubte.
»Es ist nichts da«, sagte ich. »Komm weiter.«
Eivlin machte ein wimmerndes Geräusch und tat einen Schritt zurück. »Ein Schatten«, flüsterte sie. »Da ist etwas auf der Straße.«
»Da ist nichts. Bei dieser
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