Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman
Orchideen in der Größe von Ackergäulen und mit Blüten von der Größe eines Wagenrads.
»Nun, wie finden Sie es?«, fragte Quest.
»Ich kann nur einen kleinen Bruchteil dieser Pflanzen benennen«, erwiderte Cornelius ehrlich beeindruckt. »Die sind wirklich selten, ich habe sie noch nicht einmal als Abbildungen in Cheggs Enzyklopädie der Pflanzen gesehen.«
»Sie stammen von überallher, wo auch immer meine
Verwalter aus geschäftlichen Gründen zu tun hatten«, sagte Quest. »Süd-Concorzia, Liongeli, Thar. Sie wachsen hier nicht in einem einzelnen Raum, sondern in mehreren, miteinander verbundenen Arboreten, von denen jedes seinen eigenen Feuchtigkeitswert und Temperatur hat. Lesen Sie die wissenschaftlichen Abhandlungen? Die Gelehrten nennen eine solche Miniaturwelt ein Ecos, ein miteinander verbundenes Lebenssystem.«
»Unglaublich«, staunte Cornelius. »Selbst in den botanischen Gärten gibt es nichts vergleichbar hoch Entwickeltes.«
»Interessant, dass Sie das sagen.« Quest ging zu einem silbernen Becken hinüber. »Es war bei meinem ersten Besuch im Botanischen Garten von Middlesteel, als ich begriff, dass ich mein eigentliches Glück selbst würde schmieden müssen. Die Verbundenheit aller Dinge, die Tatsache, dass die Wirtschaft von Jackals das komplexe System des Lebens spiegelt, das Ecos … jeder Markt ist von seinen eigenen Räubern und Beutetieren bevölkert, die sich von einer zerbrechlichen, sich ständig verändernden Umgebung nähren. Wenn ein fremder Garten eingefangen und unter einen Glaspalast transportiert werden könnte, dachte ich, dann müsste man doch auch die Märke von Jackals nach den Angaben einer Berechnungsmaschine simulieren können.«
»Die ganze Welt in Ihren Händen«, sagte Cornelius. »Und nun ist Ihr Unternehmen der größte Räuber im Dschungel der Kaufmannszunft.«
»Nun ja, ich hatte immer nur einen Schatten der gesamten Wirtschaft in meinen Berechnungsmaschinen«, sagte Quest. »Aber was wirkliche Räuber angeht, werde ich Ihnen etwas zeigen …« Er klopfte laut gegen die Wand eines Glasbehälters und hob den Deckel ab. Drinnen flohen Hunderte von Mäusen vor seiner Hand, kletterten in lebenden Bergen über- und aufeinander in dem verzweifelten Bemühen, nicht das unglückliche Geschöpf zu sein, das er ergreifen würde. Seine Hand fuhr hinab, und eine zappelnde weiße Maus wurde an ihrem Schwanz in die Höhe gehoben. Quest warf das Nagetier in einen eingefriedeten Bereich. Auf der anderen Seite der Begrenzung schlugen Orchideen peitschenartig mit ihren Blättern, und schildgroße Blüten bewegten sich auf der Suche nach Beute hin und her. Die Maus wuselte zwischen den zuckenden Zungen dahin, rutschte weg, bis eine Pflanze das kleine Tier packte und in die Luft warf, um es dann mit dem Verdauungssack, der um seine Wurzeln lag, aufzufangen. Das Quieken verstummte, als die Maus in dem giftigen, klebrigen Saft versank; Hunderte von kleinen Stacheln durchbohrten ihren Körper und hinderten sie daran, ein Loch in die Pflanzenhülle zu reißen.
»Das wiederum bekommt man im Botanischen Garten nicht zu sehen«, sagte Cornelius.
»Wobei das sicherlich nicht daran liegt, dass keine Nachfrage danach bestünde, wenn man bedenkt, wie viele Plätze bei den Hahnenkämpfen verkauft werden«, sagte Quest. »Wir alle lieben doch ein bewegendes
Schauspiel, oder nicht? Für mich ist das jedoch eine heilsame Erinnerung an die Komplexität unseres eigenen Ecos. Beinahe alles, das existiert, ernährt sich von anderen oder stellt selbst Nahrung dar; oft sogar beides. Mein Interesse gilt in diesen Tagen verstärkt derartigen Zusammenhängen, weit mehr, wie ich leider zugeben muss, als den Menschen.«
»Ihr Ruf als Wohltäter steht dem entgegen«, sagte Cornelius.
»Ich kann die Grausamkeit unserer Art nicht ertragen, die Armut und das Elend, das wir in unserer Welt geschehen lassen«, erwiderte Quest. »Aber leider ist das nicht dasselbe wie ein endloser Vorrat an Mitgefühl für alle Leidenden. Ich bin kein so guter Mensch, und ein solcher Vorrat müsste auch wirklich enorm groß sein, um für unsere Welt auszureichen. Ich kann unser Elend nicht ertragen, weil es unnötig ist, ein Zeichen für das völlige Scheitern von Vorstellungskraft und Intelligenz bei jenen, die sich ihrer Pflicht stellen und Jackals führen sollten. Ein anderes Ecos könnte zu einem anderen Ergebnis führen, könnte dafür sorgen, dass niemand in einer Umgebung aufwachsen müsste, wie ich sie als Kind
Weitere Kostenlose Bücher