Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman
Ataa-Naa-Nyongmo-Sees, und anhand der Orientierungspunkte,
die Ihre Krone und die beiden Kristallbücher enthielten, sollten wir uns nach der Landung schnell zurechtfinden.«
Die Leviathan schwebte über die große Stadt auf deren Zentrum zu, wo sich ein gewaltiger, schlanker Turm erhob, der hoch über Camlantis aufragte. Eingerollte blütenartige Blätter begannen um die Spitze des Daches zu rotieren.
»Süßer Zirkel.« Amelia sah, wie sich goldene Lichter um den großen Turm gruppierten.
»Die Kristallbücher haben nicht gelogen«, sagte Robur. »Die Gebäude ernähren sich tatsächlich vom Sonnenlicht. Genau wie die Skrayper.«
»Die Stadt hat in einer Art Winterschlaf gelegen«, sagte Quest, »und auf die Rückkehr ihres Volkes gewartet.«
»Wir sind nicht ihr Volk«, wandte Amelia ein, »wir sind nur durchreisende Pilger.«
Quest zuckte die Achseln. »Na ja, eigentlich …«
Amelia sah beunruhigt zu dem Kaufmann hinüber. »Was denn, Quest? Haben Sie mir schon wieder etwas vorenthalten?«
»Ich habe Ihnen gesagt, als wir uns das erste Mal trafen, dass Ihre sogenannte Irrlehre nicht die einzige war, deren Erforschung ich finanziell unterstützt habe. Was wissen Sie über die Maitraya?«
»Theologie war nie meine starke Seite«, sagte Amelia, »aber ist das nicht eine Technik aus dem zirklistischen Gebotsbuch, ein erleuchteter Zustand, in den man nach Wochen tiefer Meditation gerät?«
»So wird es von unserer Kirche interpretiert«, erwiderte Quest. »Aber wenn man die Schriften bis zu ihren uralten Quellen zurückverfolgt, dann bezeichnet dieser Begriff vielmehr ein erleuchtetes Wesen. Nicht einen Zustand, sondern einen sehr weisen Lehrer. Als Archäologin müssen Sie doch auf zerbrochene Totems alter jackalianischer Götter gestoßen sein, auf Bruchstücke aus den Zeitaltern, bevor die Götter gestürzt und die Druiden davongejagt wurden?«
»Das war nicht mein Spezialgebiet, aber natürlich bin ich das. Ich habe Tempelbilder vom dachshaarigen Joseph, dem weißen Fuchs von Pine Hall, der alten Kornmutter, Diana der Mondwandlerin, der Eichengöttin, von Samuel mit den Hermelinhandschuhen gefunden – ich könnte endlos weiter aufzählen. Die Druiden hatten für jede Jahreszeit, jeden See und jeden Berg in Jackals irgendwelche Gottheiten.«
»Die es ihnen wesentlich erleichterten, Abgaben und Tribut von den Stämmen zu verlangen.« Quest nickte. »Dazu habe ich zwei miteinander verbundene Fragen an Sie. Wie stürzt man Götter, und wie zerstört man eine Zivilisation?«
Amelia erkannte, in welche Richtung Quest dachte, und sie sah einen Funken seines genialen Verstands am Werk. Er schlug Brücken zwischen Bereichen, die eigentlich keine Verbindung zueinander hatten. Damit verband er die Punkte zu einem Bild, dessen Existenz kaum jemand geahnt, geschweige denn, es je gesehen hatte – indem er so abwegige Fragen stellte, dass man
ihn in jedem Hörsaal der großen Universitäten dafür ausgelacht hätte.
»Sie können doch nich –«
»Sie können eine Zivilisation nicht zerstören«, sagte Quest. »Nicht so gründlich, und nicht, ohne eine Spur zu hinterlassen. Es gab camlantische Botschaften in anderen Ländern, camlantische Händler, die ins Ausland reisten, es gab die weiten Weizenfelder und Plantagen, die von großen camlantischen Landwirtschaftsmaschinen betrieben wurden, und es gab camlantische Flüchtlinge, die vor den Kämpfen mit der Schwarzöl-Horde flohen.«
»Camlantis wurde aus der Welt entfernt«, sagte Amelia. »Es ist hier, unter unseren Decks.«
»Die Stadt, ja. Und ihre Bibliotheken und ihr gesammeltes Wissen, auch der Großteil ihrer Menschen«, erwiderte Quest. »Die zu Staub zerfallenen Knochen vieler Millionen Bewohner werden jetzt unter unseren Füßen vom Wind verweht, nachdem sie der Erde jahrtausendelang vorenthalten wurden. Aber es hätten dennoch irgendwo ein paar versprengte Camlantiker am Leben bleiben müssen, die sich an den Ruhm ihres Volkes und an das, was sie einst geschaffen hatten, erinnert hätten.«
Amelias nächste Frage war zwar nun schon fast rhetorisch, aber sie wollte die Antwort dennoch aus Quests Mund hören. »Wohin könnten sie verschwunden sein?«
»Tja, wohin«, murmelte Quest. »Sie hätten sich irgendwo zusammengefunden, nicht wahr? Das zeigt uns
doch schon die Entwicklung unserer eigenen Städte. Die Dampfmänner leben fast alle in Steamside, die Craynarbier rücken in Shell Town zusammen. Ich glaube, die überlebenden Camlantiker flohen
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