Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman
hinweggerissen wurde, bevor die dunklen Maschinen der Rebellen die tote Stadt an noch einen kälteren Ort verfrachteten, weggeschlossen vor der ganzen Menschheit – und vor dem Angesicht und Gewissen ihrer Mörder.
Die Assistenten, die man ihrer Forschungsgruppe zugeteilt hatte, zogen ehrfurchtsvoll die Luft ein, als sie in den Aufzug stiegen, der im Inneren des Turms verlief; seine Wände, die Decke und der Boden waren so durchsichtig, als seien sie überhaupt nicht da. Lichtsäulen verliefen im Inneren des Turms, und zwischen schwebenden Kupferkugeln, groß wie ein Haus, ergoss sich immer wieder ein Schwall von Regenbogenfarben. Ihre Assistenten unterhielten sich aufgeregt über die vielen fremdartigen Anblicke, die Stimmen drangen erstickt hinter den Atemmasken hervor.
Amelia war sich bewusst, dass all das, was sie nun vor ihren Augen sah, sie viel stärker hätte bewegen sollen. Wieso fühlte sie so wenig im Angesicht all dieser Wunder? War es nicht das, worauf sie ihr ganzes Leben hingearbeitet hatte, war nicht jetzt das Vermächtnis ihres Vaters erfüllt, über alle Träume hinaus, die er und seine Tochter zu seinen Lebzeiten geteilt hatten? Allein die Möglichkeit zu haben, jetzt hier zu stehen. Er hätte bei ihr sein und diesen Triumph mit ihr teilen sollen. Dann
hätte sie vielleicht ihren Mitarbeitern erklären können, dass die Lichtsäulen, die sie so ehrfurchtsvoll bestaunten, nichts anderes waren als reine Information, mit denen die Bewohner der Stadt ihre Kristallbücher zu jedem Thema und mit allen Fakten aufladen konnten, die sich im langen Gedächtnis und den uralten Speichergeräten der camlantischen Gesellschaft befanden. Eine so uralte Datenmenge, dass sie viele Hundert Analyseebenen durchlaufen mussten, bevor der Verstand und die Informationssysteme der modernen Camlantiker etwas mit ihr anfangen konnten. Sie hätte erklären können, dass diese riesigen Geräte, als die Sonnenenergie in ihrem kalten Exil nicht mehr verfügbar war, die Daten an einem Punkt im Raum-Zeit-Kontinuum eingefroren hatten, der nicht größer war als ein Fingernagel, ein kompakter Strang exotischer Materie, die sich voller Freude wieder entpackt hatte, als die lebensspendenden Strahlen der Sonne den Turm vor einer Stunde wieder berührten.
Die Mitarbeiter hätten Amelia vielleicht angesehen, als ob sie verrückt oder besessen sei, aber das lebende Echo dieser Stadt schlug nun im Gleichtakt mit ihrem Puls, und daher konnte sie sich nicht der unbändigen Freude darüber hingeben, dass ihr Traum endlich wahr geworden war, sondern fluchte nur über die Kälte und zog den großen, pelzgefütterten Höhenmantel enger um sich, den man ihr für die Erforschung von Camlantis gegeben hatte. Etwas, das ihr Vater einmal gesagt hatte, kam ihr wieder ins Gedächtnis. Ein Mensch, der keinen
Traum hat, ist zu bedauern. Aber ebenso zu bedauern ist der Mensch, dessen einziger Traum wahr geworden ist.
Hinter Amelias Kopf flüsterte ihr Vater: »Selbst ein Echo muss einmal verebben.«
Sie fuhr herum. »Papa!«
»Professorin?« Eine Mitarbeiterin sah sie fragend an.
»Haben Sie etwas gehört, haben Sie etwas gesagt?«
»Nur das Knistern des Lichtwechsels von dort drüben. Das ist alles, Professorin«, sagte jemand aus dem Forschungsteam. »Deswegen sind wir ja hier.«
»Tatsächlich?«
»Es ist wundervoll«, sagte jemand hinter ihr. »Glauben Sie, dass es in der Stadt ein Museum gab? Was wir hier alles lernen können …«
»Ich bin mir sicher, wir werden mehrere Dutzend Museen finden.«
Die Straßen draußen fühlten sich ebenso wenig greifbar und echt an wie die Phantomprojektionen, die sie auf dem Grund des Ataa-Naa-Nyongmo hatte sehen dürfen. Das Licht war unglaublich hell und zeichnete die gespenstisch leeren Prachtstraßen und Gebäude mit intensiver, blasser Klarheit, während es der verwaisten Stadt die Energie vermittelte, die sie brauchte, um wieder zu funktionieren. In der Straßenmitte bewegte sich ein Teil des Belags, ein Streifen daneben eilte etwas schneller voran, während ein dritter dahinter mit noch größerer Geschwindigkeit dahinlief. Ihre Mitarbeiter erfassten den Zweck dieser Vorrichtung sofort, traten auf den ersten Streifen und winkten, als er sie die Straße entlangtrug.
»Ein Transportsystem wurde in die Straßen eingelassen«, plapperte eine Matrosin hinter ihrer Atemmaske, die das offenbar lustig fand.
Amelia versuchte, über diese Entdeckung zu lächeln, aber sie stellte fest, dass es ihr nicht
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