Das Königshaus der Monster
»Das scheint so, Sir, ja.«
»Wo sind die beiden jetzt?«
Ich blickte auf das PDA. »Sie nähern sich dem Ende von Whitehall. Dem Trafalgar Square.«
»Dann finden Sie sie!«, kreischte Dedlock.
Eine Ader zuckte an Mister Steerforths Schläfe. »Ich bitte Sie, Sir …«
»Was denn, Mister Steerforth?«
Ungeachtet der arktischen Beschaffenheit jener Nacht schwitzte Steerforth ausgiebig. »Ich habe Angst, Sir.«
»Steerforth! Wir haben keine Zeit für Ihre Selbstanalysen!«
Jasper trat neben den kraftstrotzenden Mann und legte ihm unauffällig die Hand auf den Arm. »Sie sind Mister Steerforth!« Seine Stimme hörte sich sanft und eindringlich an, hatte jedoch einen stählernen Beiklang. »Sie sind der Held des Direktoriums! Es gibt nichts, wovor Sie Angst haben!«
Damals nahm ich an, dass Jasper sich bemühte, einem Freund und Kollegen beizustehen, ihm Mut zu machen und ihn durch gutes Zureden zum Handeln zu bringen. Doch jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, dass dahinter nicht irgendein anderer, verborgener Zweck stand.
Die Stimme des Alten knatterte in unsere Ohren: »Hören Sie auf zu greinen und tun Sie Ihre Arbeit!«
Steerforth schien zu einem Entschluss zu kommen. Er richtete sich auf, nahm ruckartig die Schultern zurück und bellte: »Jawohl, Sir!« Dann wandte er sich an die wenigen von uns, die noch übrig waren. »Ich gehe los. Wer kommt mit? Wer, zum Henker, kommt mit?«
»Steerforth!«, knurrte Dedlock. »Bringen Sie mir ihre Köpfe!«
»Jawohl, Sir!« Und noch einmal, erfüllt von der überschäumenden Vorfreude auf Kamikaze: »Jawohl! Sir!«
Als Steerforth in den Nebel davonstürmte, setzten auch Jasper und ich uns widerstrebend in Bewegung, um ihm zu folgen.
Ich habe nie von mir behauptet, ein Held zu sein, und ich gebe gern zu, dass ich mich diesmal fast zu Tode ängstigte. Es dauerte nicht lang, ehe wir über den ersten Toten stolperten – den Leichnam des jungen Captains, der ausgebreitet und verdreht auf der Fahrbahn von Whitehall lag wie eine weggeworfene Puppe, mit der Kinder zu wild umgegangen sind. Ich wäre fast über ihn gefallen und musste bei seinem Anblick alle Selbstdisziplin aufbieten, um die Übelkeit und alles, was dabei hochkommen wollte, zu unterdrücken.
»Was ist?«, keifte Dedlock tief in meinem Ohr. »Was sehen Sie?«
»Verluste, Sir«, sagte Jasper knapp.
»Schlimm?«
»Könnte kaum schlimmer sein.«
Wir liefen schweigend weiter, voller Angst, jedoch auch vorsichtig, um im dichten Nebel nicht auf die Gefallenen zu treten.
Irgendwo aus den wogenden Schwaden kam Mister Steerforths Stimme: »Ich bin an der Straßensperre, Sir! Keine Überlebenden.« Und mit einem hysterischen Anschwellen seiner Lautstärke: »Haben Sie mich verstanden? Alle sind tot!«
»Mister Steerforth!«, bellte Dedlock in jedermanns Ohr. »Mäßigen Sie Ihren Ton!«
»Begreifen Sie nicht? Diese Dinger rennen frei herum! Keiner in ganz London ist vor ihnen sicher! Sie werden die Stadt in ein Schlachthaus verwandeln!«
»Ich sehe schon, Sie sind nicht gefestigt genug, um mit der Situation fertig zu werden. Von jetzt an übernehme ich die Leitung der Operation selbst.«
»Mit allem Respekt, Sir …«
»Ich schere mich einen Dreck um Ihren Respekt«, fuhr Dedlock ihn an. »Geben Sie mir einfach nur, was ich will!«
»Bitte …!«
Es war zu spät. Ich hörte ein ratterndes, schmirgelndes Geräusch – knirschende Zahnräder in einem arthritischen Getriebe –, und als Steerforth wieder sprach, geschah es mit der Stimme von Mister Dedlock. Es konnte keinen Zweifel geben, was sich gerade abgespielt hatte.
»Ein Schlachthaus!« Seine Stimme war von wildem Zorn erfüllt. »Die Straßen Londons in ein Schlachthaus verwandeln!«
Wir Zurückgebliebenen eilten in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war – voller Angst, worauf wir stoßen würden.
Wieder ertönte in unseren Ohren Dedlock durch Steerforth. »Sie wollen zum Trafalgar Square! Ich verfolge sie!« Und dann: »Ich kann sie sehen! Ich bin ihnen auf den Fersen!«
Irgendwo vor uns stürmte er hinter den Präfekten her. Es wird wohl Einbildung gewesen sein, aber ich war mir sicher, dass ich über meinen Ohrhörer das Auf und Ab ihres bösartigen Gelächters vernahm.
Ich kann mir lebhaft vorstellen, was damals vor sich gegangen ist, wie sie ihn verspotteten und bis aufs Blut reizten und gerade so viel von sich sehen ließen – ein Aufblitzen ihrer Blazerknöpfe, ein halbes nacktes Knie, das Glitzern einer Messerklinge
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