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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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Barnaby ein, um uns nach Hause zu fahren. Miss Morning und ich kletterten erschöpft in den Wagen, Jasper hingegen blieb zurück und klammerte sich mit bedrückender Hartnäckigkeit an dem fest, was von Steerforth übrig geblieben war.
    Während der Fahrt sah ich, dass Dedlocks Säuberungstrupp bereits eingetroffen war; die Männer trugen Schutzanzüge, die aussahen wie Ganzkörperanoraks. Mit ihren Scheuermitteln, Drahtbesen, Schrubbern, Schwämmen, Sprays und Greifzangen wirkten sie auf mich wie die personifizierte Effizienz, die keine Zimperlichkeiten kennt. An den Straßenrändern waren jetzt Polyestersäcke in der Größe von Särgen ausgelegt, in denen die Toten unter Zippverschlüssen verschwinden sollten.
    Wir umrundeten soeben den Trafalgar Square, als ein Van uns mit quietschenden Reifen überholte und den Weg zum Sitz der Macht einschlug. Ich konnte einen Blick auf die Passagiere werfen: noch mehr berufsmäßige Killer, bis an die Zähne bewaffnet und Mordlust im Gesicht.
    »Dedlocks Reserven«, murmelte Miss Morning. »Die Jagd geht weiter.« Sie gähnte und lehnte sich entmutigt in die Ecke; offenbar hatte sie sich mit der Niederlage abgefunden.
    Wir waren viel zu erschöpft und aufgewühlt für eine Unterhaltung, aber als Barnaby uns durch die finsteren Straßen von Elephant and Castle kutschierte, sagte Miss Morning: »Ich habe sie gesehen.«
    »Wie bitte?« Ich hatte zum Fenster hinausgestarrt und mich bemüht, das Erlebte möglichst schnell zu vergessen.
    »Während ihr alle weg wart, habe ich sie gesehen. Sie haben alles aufmerksam verfolgt.«
    »Wer hat was verfolgt?«
    »Die drei«, flüsterte sie. »Die drei sind wieder unterwegs.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Sie kennen sie, Henry. Den Engländer. Den Iren. Den Schotten.« Selbst nach all den grässlichen Schrecken dieser Nacht verspürte ich bei diesen Worten ein ganz eigenartiges Schaudern.
    Ich wandte das Gesicht ab und starrte wieder durch die Scheibe, doch das Einzige, was ich sah, war mein eigenes Spiegelbild – das eines verstörten, müden Mannes mit mitfühlenden, vorwurfsvollen Augen.
     
    Das Morgengrauen lauerte schon hinter dem Horizont, und der Nebel fing gerade an, sich zu aufzulösen, als Barnaby mich vor dem Haus in Tooting Bec absetzte.
    Ich schloss auf und trat ein. Ehe ich mich aus den Kleidern schälte und dankbar ins Bett sank, stellte ich den Wecker so, dass mir vier Stunden Schlaf blieben; ich kuschelte mich in den Kokon des Federbetts und suchte Trost, indem ich es fest an mich drückte.
    Als ich aufwachte, schien es mir, als wären nur Minuten vergangen, seit ich die Augen geschlossen hatte, doch das strenge Zirpen des Weckers wies mich beharrlich darauf hin, dass acht Uhr vorbei war und ich in nicht ganz einer Stunde am Riesenrad erscheinen musste.
    Zu meiner freudigen Überraschung entdeckte ich Abbey in meinem Bett. Sie maulte leise, als der Wecker sein Zirpen nicht beendete.
    »Danke«, murmelte sie, als ich ihn abstellte, rückte näher zu mir und schlang den Arm um meine Brust.
    »Du bist zurückgekommen.«
    »Natürlich bin ich zurückgekommen.« Ich küsste sie auf die Stirn; dabei musste ich wohl unabsichtlich ihre Brüste gestreift haben, denn sie stieß einen leisen Seufzer der Sinnenlust aus.
    »O Joe«, murmelte sie.
    Eine Sekunde lang schwankte ich, ob ich mich verhört hatte oder nicht, doch dann sagte sie es noch einmal – und zwar ganz deutlich, so als wolle sie mir absolut keinen Raum für Zweifel lassen, keine Möglichkeit zur Flucht in die Illusion. »Ich kann’s gar nicht glauben, dass du zurückgekommen bist, Joe.«
    »Joe?«, fragte ich laut. »Wer ist Joe?«
    Als ich sie ansah, flatterten Abbeys Lider und schlossen sich, ihre Lippen öffneten sich leicht zur Kussbereitschaft, und so begann das Allerletzte an Gutem zu versickern, was das Leben noch für mich bereitgehabt hatte.

 

     
    In seinem langen und privilegierten Dasein war es das erste Mal (mit der bedauerlichen Ausnahme einer Unbesonnenheit während einer kleinen Feier zum Ende der ersten Studienwoche an seiner Universität, die nur durch den Einsatz einer sagenhaft hohen Geldspende aus der königlichen Schatulle nicht in die Medien gelangte), dass der Prinz von Wales am Morgen aufwachte und nicht die leiseste Ahnung hatte, wo er sich befand und warum.
    Schon als er nach einem außerordentlich bedrückenden Traum (etwas von einem kleinen Jungen und einem grauen Kätzchen) zu sich kam, verspürte er die ersten Regungen von Panik. Er

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