Das Königshaus der Monster
Sie kennt eine Menge Namen …«
Noch ehe Steerforth antworten konnte, marschierte eine ältere Dame ungeduldig aus dem Nebel auf mich zu.
»Henry? Da sind Sie ja, mein Lieber. Ich habe Sie schon überall gesucht.«
Miss Morning hatte wieder ihre offizielle Miene aufgesetzt und wirkte entsprechend älter und zerbrechlicher als beim letzten Mal. Sie blickte zu Steerforth hoch. »Sie müssen der neue Junge sein.«
Steerforth sah beleidigt aus. »Ich bin seit mehr als vierzehn Jahren im Dienst des Direktoriums!«
»Sagte ich ja. Der neue Junge.«
»Alle herhören«, ging ich dazwischen, um die Spannung etwas zu lockern, »dies ist Miss Morning.«
»Danke, mein Lieber«, sagte die alte Dame, »aber sie wissen, wer ich bin.«
»Wer ist das?«, brüllte Dedlock. »Steerforth, lassen Sie mich sehen!«
Mister Steerforth sah aus, als würde ihm gleich schlecht. »Jetzt, Sir? Muss das wirklich jetzt sein?«
Das Knurren der höchsten Autorität des Direktoriums: »Lassen Sie mich rein.«
Der arme Steerforth. Er erschauerte ein-, zwei-, dreimal, seine Gesichtszüge verschoben und verzerrten sich. »Miss Morning!«, sagte er. Der Körper war nach wie vor jener von Steerforth, aber die verbitterte, krächzende Stimme gehörte unzweifelhaft zu Dedlock. »Mir scheint, die Jahre sind nicht spurlos an Ihnen vorübergegangen. Man sieht Ihnen jedes einzelne davon an!«
Miss Morning streckte kämpferisch das Kinn vor. »Und wie lebt es sich so unter Wasser, Mister Dedlock?«
»Was wollen Sie hier?«
»Sie sind gerade dabei, etwas höchst Dummes zu tun.«
»Ich tue das, was nötig ist, um diesen Krieg zu gewinnen.«
»Ihr Krieg kümmert die Präfekten kein bisschen! Sie spielen ein größeres Spiel.«
Steerforths Gesicht nahm eine unangenehm dunkelrote Färbung an. »Ich habe sie überlistet!«
»Ich bitte Sie! Sie haben nichts dergleichen getan. Die ganze Situation ist so, wie die beiden sie angelegt haben!«
»Nein, ich bin derjenige, der hier die Kontrolle hat!«
Nun klang die alte Dame so, als wäre sie die ganze Sache leid: »Mag sein, aber die beiden werden flüchten.«
»Flüchten?«
»Natürlich werden sie flüchten! Es sind die Präfekten!«
Steerforth wandte sich an den Uniformierten. »Captain, sehen Sie zu, dass diese anmaßende Person in Haft genommen wird!« Der Captain legte eine Hand – etwas übervorsichtig, wie ich meine – auf Miss Mornings Schulter, doch sie schien es kaum zu bemerken.
»Weshalb wollen Sie es nicht begreifen?«, rief sie. »Das ist ihr Nebel!«
»Bringen Sie die beiden weg!«, schnarrte Dedlock, bevor Steerforths Gesichtszüge unvermutet wieder ihre gewohnte Form annahmen.
Wir standen da wie erstarrt und sahen in respektvollem Schweigen zu, wie der gepanzerte Wagen wendete, die Downing Street entlangfuhr, umständlich abbog und durch den Nebel die Fahrt über Whitehall fortsetzte.
»Sie dürfen das nicht zulassen!«, sagte Miss Morning und zog mich am Ärmel.
»Was soll ich tun?«
Vielleicht schreibe ich mir rückblickend zu viel sachlichen Verstand zu, aber es gelang mir damals nicht, das Gefühl abzuschütteln, dass alles, was da vor sich ging, nicht ganz real war – dass wir nur Publikum und alles rundum Trugbilder waren.
»Dedlock!« Miss Morning schrie jetzt nachgerade. »Wenn Sie den Dingen nicht sofort ein Ende setzen, werden demnächst Menschen sterben!«
Völlig gleichgültig gegenüber den Warnungen der alten Dame setzte der Wagen seine würdevolle Fahrt über Whitehall fort, zu beiden Seiten dicht gefolgt von Motorrädern. Dutzende Waffen richteten sich auf das Fahrzeug, bereit, beim geringsten Hinweis auf Schwierigkeiten zu feuern.
Und zu diesem Zeitpunkt merkten wir, dass etwas nicht stimmte.
Es begann als langsames Rieseln – als feine Linie roten Rauchs, die unter den Wagentüren hervorsickerte. Ich sah zu, wie die Linie immer breiter wurde, so als wäre im Inneren des Fahrzeuges ein Feuer ausgebrochen. Und dann wälzten sich dicke Wolken hervor, strömten in den Nebel und färbten die Nacht rot.
»Was ist los?«, bellte Dedlock in unsere Ohren.
»Ich sehe es!«, rief Steerforth und rannte zu dem Wagen, der abrupt stehen blieb. Wir liefen ihm hinterher.
Dedlock schrie: »Was, zum Teufel, geht da vor?«
Miss Morning tauchte neben mir auf. »Es ist schon passiert. Die beiden konnten nicht anders.«
Der alte Mann brüllte seine Wut in mein Ohr. »Mister Lamb!«
»Ich weiß es nicht!«, brüllte ich zurück. »In diesem Nebel kann ich nichts
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