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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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einfach mit dieser gewissen bitter-verächtlichen Betonung versehen. Und dafür verabscheute ich mich auf der Stelle und zutiefst.
    Abbey sah mir nicht in die Augen, und sie erhob auch keinen Einwand gegen meinen Tonfall, sondern starrte nur geradeaus auf Salz und Pfeffer in der Tischmitte. »Er wohnte im Haus.«
    In meinem Magen flatterte es. »In unserer Wohnung? In meinem Zimmer?«
    Abbey nickte. »Es musste ein Ende haben.« Mein schönes Mädchen biss sich auf die Unterlippe bei der Erinnerung an eine Zeit, von der ich nichts wusste, und ich spürte den eisenharten Tritt der Eifersucht. »Er war völlig aus dem Lot. Verstrickte sich in irgendwelche riskanten Dinge.«
    »Sprich weiter.« Mir war bewusst, dass ich sie jetzt ausquetschte, aber ich konnte mich nicht überwinden, damit aufzuhören. Irgendeine neugierige Ader in mir war erwacht und wollte alles wissen.
    »Er war unberechenbar«, fuhr sie fort. »Manchmal verrückt. Gefährlich. Nicht wie du. Nicht im Entferntesten wie du. Du bist nicht gefährlich. Du bist …« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »Du bist lieb.« Schließlich sah sie mir ins Gesicht, versuchte ein Lächeln und streckte die Hände über den Tisch, um die meinen zu ergreifen.
    »Lieb«, sagte ich leise; noch nie zuvor hatte das Wort so verdammt freudlos für mich geklungen. Ich schluckte und stellte ihr die wichtigste Frage: »Fehlt er dir?«
    Abbey stand so abrupt auf, dass die Stuhlbeine kreischend über den Linoleumboden schrammten; plötzlich war sie nervös und gereizt. »Ich muss zurück ins Büro. Du brauchst mich nicht zu begleiten. Ich rufe mir ein Taxi.«
    Danach gab es nur mehr einen eher frostigen Abschied und die unbestimmte Aussicht auf ein Wiedersehen daheim.
    Ich trottete zurück zu meinem Großvater. »Du kennst alle Antworten, nicht wahr?«, seufzte ich, doch das Einzige, was auf meine Frage folgte, war der übliche starre Blick zur Decke und das irritierende Piepsen der Geräte. Ich verlor plötzlich die Fassung und rief mit kippender Stimme: »Du alter Lumpensack!«
     
    Barbara fühlte sich irgendwie komisch, als sie ins Büro zurückkam. Nachmittag um halb drei verspürte sie bereits körperliche Übelkeit, und unten, im Kellergeschoss, als es wirklich schlimm wurde, musste sie sich am Stuhl der dicken Frau festhalten, bis der Brechreiz nachließ.
    Um fünfzehn Uhr wartete sie nur mehr jeden Moment darauf, sich übergeben zu müssen. Während ihrer Mittagspause war Peter Hickey-Brown mit irgendeiner gemurmelten Ausrede von einem plötzlich notwendig gewesenen Zahnarztbesuch in sein Büro gehuscht, und jetzt hatte Barbara keine andere Wahl, als an seine Tür zu klopfen und ihn zu bitten, sie früher nach Hause gehen zu lassen. Viel zu abgelenkt von etwas auf seinem Monitor, um großen Widerstand zu leisten, nickte er und sah dabei nicht einmal auf, sodass Barbara zehn Minuten später das Gebäude verlassen konnte und zur U-Bahn-Station eilte.
    Die Fahrt, denke ich, muss schlimm für sie gewesen sein. Zu der Rebellion in ihrem Magen dürften böse Kopfschmerzen und eine verschwommene Wahrnehmung ihrer Umgebung hinzugekommen sein, und sie fühlte sich gewiss gefährlich unsicher auf den Beinen. Doch nach der Fahrt mit der U-Bahn hatte sie nur mehr einen kurzen Fußweg zu überstehen. Sie wohnte zusammen mit zwei Katzen bei ihrem Vater.
    Jedenfalls habe ich mir das immer so vorgestellt.
    Der alte Mann – er wird wohl alt gewesen sein, denke ich, ein ergrauter Papa, der schon seit Jahren seine mehr oder weniger armselige Rente genoss –, der Alte wird also aus dem Wohnzimmer aufgetaucht sein, um zu erfahren, wieso seine Tochter so früh von der Arbeit nach Hause kam. Um ihn nicht aufzuregen, ließ sie es vermutlich bei einer Bemerkung über eine kleine Unpässlichkeit bewenden – über die man sich weiter keine Sorgen zu machen brauchte. Nichts, worum man viel Aufhebens machte. Und weil ihm angesichts weiblicher Beschwerden – diese Migränen, diese Ausdünstungen, diese seltsamen Blutflüsse – immer schon ein unbehagliches Gefühl beschlichen hatte, wird sich Papa wohl umgehend und erleichtert wieder in seinen Bau zurückgezogen haben. Vielleicht bin ich ungerecht gegen den Mann, aber ich stelle mir immer vor, wie er die Musik lauter dreht, um die Geräusche zu übertönen, die aus dem Bad im oberen Stockwerk stammen, wo seine Tochter über der Toilette kauert: die Geräusche des Erbrechens, des leisen Stöhnens, der unterdrückten Aufschreie, des hilflosen

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