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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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pudern, schließlich sein Vorhaben durchgeführt.
    Einem Mann wie ihm fehlte in diesem Fall sicher jegliches Bewusstsein dafür, etwas höchst Unmoralisches zu tun: Es war nur eine silberne Pille, die er unauffällig in ihr Glas fallen ließ. Nicht auszuschließen, dass sie etwas gesprudelt hat, ehe sie sich auflöste, und als Barbara bald darauf an den Tisch zurückkehrte, ahnte sie nicht, dass überhaupt irgendetwas vorgefallen war.
    Doch bei dem Gedanken daran, was daraufhin passiert sein muss, als das Mahl vorbei war und die Pille anfing zu wirken – bei diesem Gedanken und beim Wissen um all das missbrauchte Vertrauen, das dahintersteht, wird mir noch jetzt, während ich dies niederschreibe, kotzübel.
     
    Etwa zur gleichen Zeit, als dies geschah, führte ich Abbey in die Klinik und präsentierte sie dem kläglichen Schatten meines Großvaters. In der Abteilung schien es noch stiller zu sein als sonst. Das Bett gegenüber von Großvater – bei meinem letzten Besuch von einem behäbigen Mann belegt, dessen Gesicht von geplatzten Äderchen übersät gewesen war – stach mir sofort durch seine verdächtige Leere ins Auge.
    Wir holten uns zwei Stühle und setzten uns neben Großvater.
    »Hallo, Großvater«, sagte ich. »Ich möchte dir Abbey vorstellen. Mein Mädchen.«
    Ich wandte mich zu ihr, um mich zu vergewissern, dass diese Bezeichnung bei ihr durchging, und sah, dass Abbey den alten Lumpensack ungläubig anstarrte. »Ich kenne ihn«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Ich kenne ihn«, wiederholte sie.
    »Unmöglich!«
    »Henry, ich bin ihm schon begegnet!«
    »Wann? Wie?«
    »Über den Häusermakler. Dies hier war der Mann, der mir die Wohnung verkaufte.«
    Worauf natürlich eine Weile Sprachlosigkeit herrschte; der Dialog beschränkte sich auf den Austausch verdutzter Blicke und ungläubiger Mienen.
    »Was geht da eigentlich vor?«, fragte Abbey zuletzt.
    Darauf konnte ich ihr keine Antwort geben, aber schließlich hob ich die Schultern und rang mich zu einem schiefen Lächeln durch. »Hör mal«, sagte ich, »ich kenne ein absolut scheußliches Café am Ende des Korridors. Darf ich dich zum Mittagessen einladen?«
     
    Als ich Abbey dabei zusah, wie sie elegant und präzise den Salat aus dem kümmerlichen Schüsselchen aufspießte, kam ich zu der Einsicht, dass ich sie noch mal fragen musste.
    Dies mutet Sie mit ziemlicher Gewissheit töricht an, angesichts des Umstandes, dass bereits Menschen zu Tode kamen, dass die Gesellschaft rundum aus allen Fugen geriet und dass ein Pärchen von Massenmördern frei herumlief, die sogar schon einen Spitznamen für mich hatten. Sie werden wahrscheinlich einwenden, dass ich mich mehr auf den Krieg hätte konzentrieren sollen und weniger auf irgendwelche Komplikationen meines Liebeslebens. Aber was wissen Sie denn schon? Sie steckten ja nicht in meiner Haut.
    »Abbey?«, fragte ich, als sie ein blutleeres Tomatenstückchen durchbohrte. »Ich möchte, dass du mir verrätst, wer Joe ist.«
    Die Tomate hüpfte von der Gabel, und Abbey schien nahe daran, vor Wut das Besteck entzweizubrechen.
    Aber ich ließ nicht locker. »Ich muss es wissen. Heute früh hast du zweimal diesen Namen genannt. Sag mir, dass ich mich verhört habe. Sag mir, dass dein Kater so heißt. Aber sag mir irgendwas!«
    Abbey schob den Salatteller von sich. »Joe war jemand, mit dem ich gegangen bin. Ein Ex eben.«
    »Aha.«
    Auf der anderen Seite der Kantine saß ein dunkel gekleideter Mann mit kurz geschnittenem Haar, der sich eine Ausgabe von Martin Chuzzlewit auffallend dicht vors Gesicht hielt. In seiner Jackentasche zeichnete sich deutlich der Umriss einer Waffe ab. Er sah herüber zu mir und nickte kurz. Einer von Dedlocks Männern – wohl nicht die hellste unter all seinen Leuchten. Ich wäre nicht überrascht gewesen, hätte er das Buch verkehrt herum gehalten.
    Abbey hatte ihn nicht bemerkt. »Ich war eine Zeit lang mit Joe zusammen«, sagte sie. »Eine ganze Weile.« Sie schien ihre Worte sorgfältig zu wählen und ein jedes davon abzuwägen, bevor sie es aussprach. »Aber das ist schon lange vorbei. Wir haben seit Monaten nicht mehr miteinander geredet.«
    »Du hast noch Gefühle für ihn, nicht wahr?«
    »O Gott, nein!«
    »Aber heute Morgen hast du im Halbschlaf seinen Namen gemurmelt.«
    »Reine Gewohnheit, Henry. Da darfst du nichts hineininterpretieren.«
    »Wie hast du ihn kennengelernt?«, fragte ich. »Wie hast du Joe kennengelernt?« Ich konnte nicht anders, ich musste den Namen

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