Das Königsmädchen
In der Ferne hörte ich den Nebulos fauchen. Hätte ich doch nur Zeit, um mir meine Sandalen anzuziehen, die ich immer noch in der Hand hielt. Der Waldboden stach mir ins Fleisch und ich fühlte die Steine, Äste und Dornen in meine Fußsohlen schneiden. Erneut drehte ich mich kurz um und sah, wie der Nebulos den Fluss fast komplett durchquert hatte. Er wird nicht von mir absehen! Das war eine Sache, die man uns über diese Bestien gelehrt hatte. Wenn ein Nebulos sich einmal ein Ziel gesucht hat, war es verloren.
Ich riss mein Kleid noch höher, als ich über einen Baumstamm sprang. Panisch schrie ich um Hilfe. Vielleicht hatte ich Glück und heute würde eine Patrouille genau hier sein und für meine Rettung sorgen. Doch tief im Innern war mir klar, dass mich hier so weit draußen niemand hören würde.
Wo war ich nur? Mitten im Wald war ich noch nie gewesen, sonst hielt ich mich immer am Waldrand auf. Ich rannte zwischen den Bäumen hindurch und schrie aus Leibeskräften.
Mein Messer! Ich riss es von meinem Gürtel und hielt es fest umschlossen. Nicht stolpern! Ich sprang über umgestürzte Baumstämme, durch Gebüsche und wich Ästen aus, doch ich konnte ihm einfach nicht entkommen, er war schneller als ich und kam immer näher. Ich hörte seine massige Gestalt auf dem Waldboden hinter mir.
Ich wusste, dass sie sehr groß und stämmig waren, aber ich hätte nie gedacht, dass sie auch so breit werden konnten.
Sein Köperumfang würde locker drei Bullen standhalten. Niemals hatte ich von so einem massigen Tier gehört. Nie und nimmer würde ich es schaffen und ohne mein Pferd war ich sowieso aufgeschmissen. Ich musste mich irgendwo verstecken.
Immer wieder stachen mir Äste oder anderes Gestrüpp in die nackten Füße, aber ich lief weiter. Das Fauchen ließ mich erneut um Hilfe schreien. Einerseits war es dumm, auf der Flucht auch noch zu schreien, aber ich konnte nichts dagegen tun. Schließlich konnte ich nicht mehr und warf mich hinter einen dichten Busch. Beten!, schoss es in meinen Kopf.
Ich bete zu dem Stein der Erde, auf dass er mich erhören werde. Schenk mir die Kraft, die Kraft, die da ist dir inne, ich deine Macht heut gewinne.
Kein klarer Gedanke war mehr möglich, ich war völlig außer Atem. Ich hörte den Nebulos ganz in der Nähe. Könnte ich auf einen Baum klettern? Unsicher schaute ich mich um, aber es bot sich keiner an, bei dem die Äste so tief hingen, dass ich daran käme. Die Äste begannen zu weit oben, das würde ich nie schaffen.
Der Nebulos knurrte und brüllte, dass mir das Herz höher schlug, als je zuvor. Vor Angst wusste ich keinen Ausweg, als erneut loszulaufen. Ich hörte ihn direkt hinter mir, als ich durch ein Loch zwischen zwei großen Gebüschen rannte.
Ich verlor meine Schuhe, aber das war mir egal. Ich durchquerte das Geäst und die Ranken und befand mich plötzlich auf einer großen Lichtung, überall waren Pusteblumen, deren Samen durch die Luft wirbelten. Es wirkte fast, als würde es auf dieser Wiese schneien.
Ich hörte, wie auch der Nebulos sich einen Weg durch die Hecke bahnte, und rannte über die große Wiese. Wieder hatte er aufgeschlossen. Seine Beine waren so muskulös, meine dagegen zitterten vor Anstrengung. Ich hatte keine Kraft mehr.
Hier auf dieser wunderschönen Wiese würde es mit mir ein Ende nehmen. In der Hoffnung, durch ein Wunder noch gerettet zu werden, lief ich zum Wald. Seine Pranken brachten hinter mir den Boden zum Beben und ich wusste, dass es bald so weit war.
Ich erlaubte mir einen kurzen Blick nach hinten und sah, wie er zum tödlichen Sprung ansetzte. Noch mehr Pusteblumensamen wirbelten durch die Luft. Das hässliche Tier passte absolut nicht auf diese friedliche Lichtung – es war so wunderschön hier. Ich hätte die Wiese gerne früher entdeckt, nicht erst jetzt, da dieses Monster mich töten wollte.
Welch ein schöner Ort zum Sterben , schoss es mir durch den Kopf.
Mein Herz schlug wild. Ich schrie noch einmal so laut ich es ohne Atem schaffte, doch seine Pranke holte aus und fuhr auf mich hinab. Es fühlte sich an, als risse er mir den Hals in Stücke, und ich stürzte zu Boden. Auf der weichen Wiese überschlug ich mich, fasste mir an die Wunde und spürte die klaffende Stelle, aus der das Blut lief. Die schützenden Bäume standen um mich herum, als lachten sie mich aus.
Ich blieb auf dem Rücken liegen und schaute gen Himmel. Ein paar Wolken verboten den Blick auf die Sonne. Bitte, lass mich noch einmal die Sonne
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