Das Königsmädchen
Fall würde man meinen Schlag noch in ein paar Tage erkennen können. Mein Hals schnürte sich zu, als sie ihren Kopf hob und mich herausfordernd ansah.
»Jole, es tut mir leid«, begann ich vorsichtig.
»Aha.«
»Ich möchte mich in aller Form bei dir entschuldigen.«
Kinthos hielt die Gabel in der Luft, die er gerade zum Mund führte.
»Also war es doch kein Reitunfall, wie du gesagt hast?«, fragte er.
Hatte Jole etwa erzählt, das sei beim Reiten passiert? Warum hatte sie das getan?
»Ich wollte Lilia in Schutz nehmen«, sagte sie mit einem zuckersüßen Lächeln, vermied es jedoch, mir in die Augen zu sehen. »Es tut mir leid, dass ich dich angeflunkert habe, Kinthos.«
Er sah mich überrascht an. »Dann würde ich jetzt gerne die Wahrheit hören.«
Ich schaute Jole an und wusste nicht, was genau ich sagen sollte.
»Ich habe mich mit Rosika unterhalten, als Lilia plötzlich um die Ecke gerannt kam.«
Die Szene erschien vor meinen Augen und wieder keimte der Zorn in mir auf. »Du hast uns einfach nicht gesehen!«, sagte sie wieder und ich schaute sie überrascht an. Jetzt traf mich ihr Blick und ich konnte nicht erkennen, was sie wirklich dachte. »Tja und da hat sie mich einfach umgerannt. Atira sagt zwar immer, dass wir im Tempel nicht rennen sollen, aber da hat sich unsere Lilia nicht dran gehalten und so ist sie ungebremst in mich hineingelaufen.«
Ich nickte nur. Ich konnte nicht begreifen, warum sie mich schützte, aber es war sehr nett, denn ich hatte keine Lust Kinthos zu erklären, warum mich ihre Worte so erzürnt hatten. Aber Briar war auch Kinthos Freund und würde sie die Wahrheit sagen, müsste sie zugeben, dass sie schlecht über seinen Freund gesprochen hatte. Da sie das nicht konnte, versuchte sie es so. Weit angenehmer als die Wahrheit.
Kinthos fuchtelte mit seiner Hand.
»Ich hoffe, dass es schnell verheilt, denn in drei Wochen wird das Fest stattfinden, auf dem die Jungkrieger zu Kriegern gemacht werden.«
»In drei Wochen erst?«, platzte es aus mir heraus.
Kinthos sah mich überrascht an. Ich muss ihn dazu bringen, dass die Jungkrieger eher geehrt werden. Dann würde mich Atira fürs Erste in Ruhe lassen, bevor sie mir befahl, ihn zu einem Krieg zu überreden.
»Wieso überrascht dich das?«
»Ich meine ja nur, ich dachte, dass wir schon in ein paar Tagen ein Fest feiern könnten.« Jetzt lächelte Kinthos.
»Ich wusste nicht, dass du unbedingt ein Fest feiern möchtest.«
»War auch nur so ein Gedanke. Noch sind wir so viele Königsmädchen und ich finde es immer schön, wenn die Jungkrieger, nachdem sie das Brandmal bekommen haben, von einer Auserwählten verbunden werden.«
Ich machte eine abwertende Handbewegung und widmete mich dem Essen auf meinem Teller.
»Wenn ich es mir recht überlege, warum eigentlich nicht. Du hast recht! Ich werde sofort mit Atira sprechen.«
Trotz dem, dass mein Wunsch in Erfüllung gehen würde, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn genau da hatte, wo ich ihn haben wollte. Er war doch mein Freund, was machte ich hier nur? Ich betrog alle Freunde, die ich hatte.
Zu einem Krieg würde ich ihn definitiv nicht aufrufen. Das musste Atira schon selbst erledigen. Ich würde nicht meine Freunde in einen Krieg schicken, der nicht nur aussichtslos, sondern in meinen Augen auch unnötig war. Das Bündnis bestand und wir sollten nicht diejenigen sein, die es brachen – schon gar nicht unter der Regentschaft von Kinthos, und nicht, wenn Briar ein Krieger unseres Volkes war.
Ich musste unwillkürlich an Karthane denken, die solch eine Angst um ihren einzigen Sohn hatte. Ich könnte mir nie verzeihen, wenn ich der Grund dafür wäre, dass Briar in einen Krieg zöge. Nein, das musste Atira selbst erledigen. Mehr als das, was ich gerade getan hatte, dürfte sie nicht verlangen. »Dann müsste ich nur noch überlegen, welche von euch etwas vorführen darf«, hörte ich Kinthos sagen.
Alle Augen waren auf uns gerichtet. Jole trat mir unter dem Tisch gegen mein Bein und ich schaute sofort hoch. Sie zeigte mit dem Finger auf ihren lilafarbenen Fleck am Kinn.
»Kinthos, ich finde Lilia sollte uns etwas vorführen«, flötete sie.
Ich riss die Augen auf, weil ich nicht glauben konnte, was sie da sagte.
»Aber Hanna wollte doch unbedingt …«, sagte ich überrascht und schaute rüber zu meiner Freundin, die mich musterte.
»Mach ruhig, Lilia, ich glaube, das ist eine gute Idee.«
Sie war mir in den Rücken gefallen! War Hanna etwa wegen des
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