Das Königsmädchen
Schwert auszuweichen, wurde aber am Oberschenkel getroffen. Er brach sofort ein und kniete nun vor dem großen Krieger der Amaren.
Ein letztes Mal konnte ich in seine Augen sehen. Ich schaute ihm direkt in die Seele und seine Lippen formten ein Ich liebe dich , dann senkte er den Kopf.
Der Amare nahm sein Schwert hoch und noch während es auf Briar herabsauste, rissen mir die Wachen der Kapelle den Stein der Erde aus der Hand und holten mich zurück in die Realität.
Ich saß in der ersten Bank, die Wachen ließen mich nicht aus den Augen. Sie hatten Atira gerufen, konnte es schlimmer kommen? Sie würde meiner Mutter und meinem Vater Bescheid geben müssen.
Ich zitterte, denn ich hatte furchtbare Angst. Mir graute vor der Standpauke, die Atira mir gleich geben würde, aber noch mehr Angst hatte ich vor der Vision, die mir der Stein gezeigt hatte. Ich hatte mich darin verloren und konnte, während es passierte, nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterscheiden. Es hatte sich so echt angefühlt. Doch was war es gewesen, was ich da gesehen hatte? War es nur ein Traum oder war es vielleicht eine Warnung? Waren die Amaren auf dem Weg, um gegen uns in den Krieg zu ziehen?
Was sollte ich Atira nur sagen, wenn sie gleich vor mir stand?
»Wo ist sie?«, brüllte Atira im Korridor.
Die Wachen und ich zuckten zusammen und da polterte sie auch schon in die Kapelle. Sie sah aus, als hätte sie bereits im Bett gelegen, denn ihre Haare waren offen und sie funkelte mich aus ihren ungeschminkten Augen böse an. Sie wirkte viel älter, vor allem aber sprach Wut aus ihrem zornverzerrten Gesicht.
Sie schoss auf mich zu und hob bedrohlich ihren Finger. »Lasst uns allein!«, keifte sie die Wachen an. »Raus, ich will mit ihr allein sein – und wehe euch, ihr stört uns hier!«
Die Wachen bewegten sich im Laufschritt aus der Kapelle. Atira ging vor mir auf und ab, schüttelte immer wieder den Kopf und ich hoffte, dass sie endlich etwas sagen würde, denn ich wollte es hinter mich bringen. »Was hast du dir nur dabei gedacht?«, platzte sie endlich heraus.
»Es tut mir so leid, Atira. Es war nur ein so schrecklicher Tag und …«,
»… und da hast du dir gedacht, nimmst du dir mal den Stein der Erde, weil es einem dann so wundervoll geht?« Sie schüttelte wieder wild den Kopf und schlug dann die Hände wütend vors Gesicht. »Lilia! Der Stein ist kein Spielzeug!«
»Ich weiß, es tut mir auch wirklich leid!«
»Was hast du gesehen?«
Ich zuckte mit den Schultern. In einer schnellen Bewegung packte sie mich und ihre Augen funkelten mich böse an. »Ich weiß, dass du etwas gesehen hast, die Wachen haben gesagt, dass sie dich schreien gehört haben. Und jetzt lüg mich nicht an!«
»Krieger der Amaren«, flüsterte ich.
»Haben sie uns angegriffen?« Jetzt sah sie plötzlich besorgt aus und ließ meine Schultern los. Sie nahm neben mir Platz, ohne mich aus den Augen zu lassen, und zog ihre Decke enger um sich.
»Sie kamen durch ein Tal hinter dem Fluss und es waren Hunderte, Atira! Sie waren bewaffnet! Was hat das nur zu bedeuten?«
»Kendal«, flüsterte sie.
Ich wusste nicht, was das bedeutete, doch ich wollte sie nicht danach fragen.
Sie war in Gedanken versunken und die Stille machte mich wahnsinnig. Sollte ich ihr von Briar erzählen? Nein, er war nur dort gewesen, weil ich ihn mir herbeigewünscht hatte. Ansonsten hatte er mit der Sache nichts zu tun und ich wollte nicht, dass Atira ein Auge auf ihn hatte.
»Atira, hast du schon mal mit dem Stein in die Zukunft gesehen?«
Sie sah mich lange an und dann nickte sie. Ich war so überrascht, dass mein Herz gegen meine Brust pochte. Sie hatte genickt! Wie konnte sie so ruhig dasitzen und mir meine Frage bejahen? »Das wusste ich nicht!«
»Das ist ein Grund, warum den Stein nicht jeder einfach so anfassen darf!«, sagte sie vorwurfsvoll.
Ich ließ den Kopf hängen.
»Lilia, ist dir klar, was passieren würde, wenn jemand davon erfährt?«
»Ich werde es keinem erzählen, das verspreche ich!«
Sie sah mich nachdenklich an.
»Lilia, ich glaube, der Stein zeigt einem die Zukunft, damit man darauf vorbereitet ist und entsprechende Vorkehrungen treffen kann.«
Ich nickte, wenn ich auch nicht vollständig verstand, was sie mir sagen wollte. »Ich glaube, der Stein will uns die Zukunft zeigen, damit wir sie verändern.«
Sie sah mir tief in die Augen. »Er zeigt einem etwas unfassbar Schlimmes, damit man alles daran setzt, das Gezeigte ungeschehen zu machen.
Weitere Kostenlose Bücher