Das Königsmal
Festungsgräben, Wälle, Schanzen und Bastionen, Proviant-, Zeug- und Wachhäuser, Pulvertürme, Proviantmühlen und die Geschützgießerei wappneten sie gegen alles Feindliche. Die Stadt, die in ihrem Wappen die Glücksgöttin Fortuna trug, hatte als einziger Ort in Holstein allen Belagerungen Wallensteins standgehalten.
„Dat schall glücken und dat mut glücken, und denn schall se ok Glückstadt heten“, hatte der König seiner Stadt eingeflüstert, als er den Grundstein gelegt hatte.
Wiebke blinzelte gegen die Herbstsonne, die schräg über dem Wasser stand. Sie hoffte, dass dieses Glück ihnen auch gegen Hamburg beistand. In diesen Stunden hielten Christians Kriegsschiffe auf die Flotte der Rivalin zu.
Wiebke blieb stehen und schluckte die Angst hinunter, die sich plötzlich angeschlichen hatte. Sie vermisste Christian. Wieder Krieg, dachte sie bitter. Krieg um die Elbzölle, um das Geld, das der König so dringend benötigte, damit er seine Schulden bei den Kopenhagener Kaufleuten abzahlen konnte. Vielleicht hatten die dänischen Kriegsschiffe ihr Ziel schon erreicht? Sie horchte in den Wind, als ob er den Kanonendonner bis zu ihr tragen würde.
Sie war erstaunt, dass sich die Glückstädter so wenig besorgt zeigten. Auf ihrem Spaziergang hatte sie nichts anderes als Alltagsgeschäft gesehen. Aus den Wirtshäusern drang der Lärm hungriger Gäste und der Geruch von Kohlsuppe und Ochsenschwanz. Auf dem Markt wurden wie an jedem anderen Tag auch die Waren gehandelt, und Bäcker, Metzger, Reepschläger und Schmiede gingen sorglos ihren Aufgaben nach. Auch der Schiffsverkehr von der Nordsee schien nicht unterbrochen. Allein die verstärkten Wachposten auf den Bastionen und die Soldaten, die in kleinen Trupps durch die Straßen patrouillierten, verrieten, dass sich die Festung gerüstet hatte.
„Madame Kruse …“
Eine dunkle, angenehm männliche Stimme drängte sich in ihre Gedanken. Wiebke drehte sich um.
„Graf von Pentz. Entschuldigt mich, ich habe Euch nicht kommen sehen.“
Wiebke lächelte und blickte dem Stadtgouverneur in die Augen. Sie hatten ihn erst vor wenigen Tagen kennen gelernt, kurz nachdem sie mit dem König aus Kopenhagen eingetroffen war. Christian hatte sie einander vorgestellt, und sie hatte Reichsgraf Christian von Pentz sofort vertraut. Sein gleichmäßiges Gesicht strahlte Ruhe und Zuversicht aus, er war ein interessierter Zuhörer und trat ihr gegenüber ohne jeden adeligen Standesdünkel auf.
„Erkundet Ihr die Stadt?“, fragte er und bot ihr den Arm. „Oder erhofft Ihr Euch Nachrichten vom König?“
„Beides. Nach der stürmischen Überfahrt war Glückstadt mir und meinem Kind sofort ein sicherer Hafen. Doch jetzt entdecke ich seinen Reiz, seine Schönheit und die Leistung seiner Bewohner.“
„Ja, es ist ein besonderer Ort.“ Mit sanftem Druck dirigierte von Pentz sie in Richtung Markt. „Wo habt Ihr Euer Kind gelassen?“
„Als ich das Schloss verlassen habe, hat es geschlafen. Johanna, meine Hofdame, wacht an seiner Wiege.“
„Dann darf ich Euch auf eine Tasse Tee in mein Palais bitten? Es wäre mir eine Ehre, die Frau unseres Königs bewirten zu dürfen.“
Wiebke bemerkte, dass sie errötete. Es war das erste Mal, dass man sie so nannte – „die Frau unseres Königs.“ Als wäre es selbstverständlich. Sie zögerte kurz, dann nickte sie. „Unter einer Bedingung, Graf von Pentz. Ihr müsst mich mit den Hintergründen dieses alten Streits vertraut machen. Seiner Majestät blieb so wenig Zeit, nachdem die Nachricht vom Überfall der Hamburger Kopenhagen erreicht hatte. Werden wir die Elbzölle zurückgewinnen?“
Von Pentz blieb stehen und lachte.
„Man hatte mich vor Euch gewarnt“, sagte er. „Sie ist eine forsche Person, die sich nicht mit Höflichkeiten aufhält, hieß es. Doch lasst uns warten, bis wir in meiner Amtsstube sitzen.“
Wenig später hatten sie das Palais des Reichsgrafen erreicht. Der lang gestreckte Bau am Fleth war stattlich, aber nicht übertrieben groß. Dennoch beeindruckte er Wiebke durch seine raffinierte Ausstattung. Kronleuchter, kostbare Vasen, Möbel mit schönen Schnitzereien und unzählige Bücher, die sich auf Tischen, Bänken und in Regalen stapelten, zeugten von den Interessen und der Bildung des Hausherrn. Sie wusste, dass Graf von Pentz Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft war, einer illustren Vereinigung Gebildeter, und Träger des Elefantenordens. Ein kunstsinniger Mann.
Im Amtszimmer des Gouverneurs
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