Das Königsmal
das Schloss zu verlassen.“
Christian griff nach Wiebkes Hand. Bestimmt und nur leicht auf ihren Arm gestützt, schritt er mit erhobenem Kopf auf die wartende Kutsche zu. Erst als sich der Schlag hinter ihnen geschlossen hatte, ließ seine Anspannung nach und er sackte zusammen. „Pack“, murmelte er. „Verräterisches, gottloses Pack.“
Als der Wagen aus dem Schlosspark rollte und auf die Stadt zuhielt, zog Christian Wiebke zu sich. Leise begann er zu sprechen. Und während sie eine formlose Welt aus Eis und Schnee umschloss, hörte sie sein Vermächtnis.
In dieser Nacht war ihm ein Engel erschienen. Er hatte zu ihm gesprochen, leise und eindringlich. „Du musst Abschied nehmen“, hatte der himmlische Bote geflüstert. „Es ist Zeit. Regele, was zu regeln ist. Sei vorbereitet, denn dein Weg führt zu Gott.“ Dann hatte ihn das Strahlen dieses Wesens umfangen und mit Liebe umhüllt. Christian hatte seine Wärme, Gottes Vergebung, gespürt, und in diesem Moment war alle Todesangst von ihm gewichen.
Am Morgen war er befreit aufgewacht, leicht und fast glücklich. Er spürte die Vorboten des Todes, das Leid hatte seinen Körper verwüstet, doch er wünschte sich noch diesen einen Tag. Um noch einmal das Meer zu sehen, den Horizont und den Himmel, das Leben und die Unendlichkeit darin zu spüren und Wiebke seine Liebe zu erklären. Dann würde er bereit sein, sein Sterben zu vollenden. Dann wäre das Wesentliche vollbracht.
Ich bin satt, dachte er, als sie jetzt durch Kopenhagen rollten und er Wiebkes Atem an seiner Seite spürte. Lebenssatt. Er sah die prächtigen Bauten und Paläste, mit Schnee bestäubt, das Werk seines Geistes und von den Händen seiner talentiertesten Meister geschaffen. Welches Bild werden sich die nachfolgenden Generationen von mir machen, fragte er sich. Werden sie den glücklichen König sehen, den strahlenden Christian IV., dem die Künste so viel bedeuteten, der das Wissen der Welt in ihr Reich holte, der Dänemark mehr als sein eigenes Leben liebte? Oder werden sie sich des glücklosen Feldherrn erinnern, der all seine Anstrengungen mit dem Makel der Niederlage behaftete?
Er atmete tief ein, genoss den Strom kalter Luft, der sich plötzlich so leicht in seinem Körper ausbreitete.
„Wiebke.“ Er drehte sie zu sich, breitete den Pelz über ihre Körper aus und tastete dann darunter nach ihren Händen. „Wiebke, ich kann nicht mehr über dich wachen. Ich sterbe, wir beide wissen das.“
Sie antwortete nicht, er spürte, dass sie zitterte.
„Es fällt mir leichter zu gehen, wenn ich dich in Sicherheit weiß. Wenn ich keine Angst haben muss um das, was zurückbleibt. Du musst gehen, heute noch. Der Kronprinz ist schwach, wenn er die Macht in Händen hält, wird der Adel triumphieren und Rache neh- men. Diese Rache gilt mir, meinem Starrsinn, meiner Liebe zu dir, aber sie wird dich treffen. Lass mich allein in den Palast zurückkehren, wir müssen Abschied nehmen, hier.“
Wiebke schüttelte den Kopf. „Was wird aus unseren Kindern?“
„Sie sind von königlicher Abstammung, sie haben nichts zu befürchten. Ulrich Christian schlägt sich bereits tapfer als Offizier in den spanischen Niederlanden, und meine kleine Elisabeth ist in Jütland gut versorgt, sie wird in eine angesehene Familie einheiraten.“
„Du willst mich hier auf die Straße setzen?“ Trotz ihres Kummers lachte sie auf. „So hast du mich kennen gelernt und so willst du mich verlassen? Nein, Christian.“
„Wiebke, hör mir zu. Hier in Kopenhagen, in deinem Anwesen, ist Gold für dich hinterlegt, genug, um nach Holstein zu kommen und dort ein gutes Leben zu führen. Ich habe es in einer Kiste im Garten vergraben lassen, dort, wo wir zuletzt gemeinsam gesessen haben. Nimm es, lass deine liebe Johanna zu dir kommen, und dann besteigt ihr gemeinsam ein Schiff. Du besitzt ein Gut in Bramstedt und ein Anwesen in Glückstadt, du bist eine reiche Frau. Und du bist noch jung. Die Verhandlungen in Münster stehen vor dem Abschluss, bald wird Frieden auf dem Kontinent herrschen, und ich wünsche dir, dass dich das Glück noch einmal findet.“
Die Kutsche hatte angehalten, er sah, dass sie den Hafen erreicht hatten. Erstaunt blickte er auf die bizarre Schönheit der zu Eis erstarrten Wellen. Selbst das Meer hält heute still und hört mir zu, dachte er. Es ist, als ob ich plötzlich Herr über die Zeit bin.
Wiebke schluchzte. „Ich werde nicht gehen, Christian. Das weißt du. Du bist mein Leben, und wenn du
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