Das Kommando
In einer Weltgegend, die keine Gleichberechtigung der Geschlechter kannte, war er in einem Hause groß geworden, in dem nie der geringste Zweifel daran bestanden hatte, dass seine Eltern auf gleicher Augenhöhe miteinander verkehrten, wenn nicht gar die Mutter dominanter war als der Vater. Alle drei Schwestern hatten in den Vereinigten Staaten Medizin studiert. Die beiden älteren arbeiteten dort als Ärztinnen, die jüngste war nach dem Examen in die Heimat zurückgekehrt, um der Mutter in ihrer Praxis in Jerusalem zur Hand zu gehen. Im Unterschied zu vielen anderen Arabern war David, der große Stücke auf seine Schwestern hielt, nicht der Ansicht, man müsse Frauen als sein Eigentum betrachten und dementsprechend behandeln.
Während er jetzt das schwarze Kletterseil festknotete , unterdrückte er eine Verwünschung und bemühte sich, seinen aufwallenden Zorn zu beherrschen. Nichts brachte ihn mehr in Rage, als wenn jemand die Schwäche anderer Menschen ausnutzte. Er zog die Handschuhe an, spreizte die Finger und schob das dünne Leder darüber, so fest es ging. Nach einem letzten prüfenden Blick auf seine Waffen zog er sich eine schwarze Sturmhaube so über den Kopf, dass nur seine dunklen Augen frei blieben. Dann schwang er die Beine über die Balkonbrüstung.
Hand über Hand ließ er sich hinab, bis sein Fuß das Geländer des Balkons im Stockwerk unter ihm berührte. Leichtfüßig sprang er von dort auf die Betonfläche des Balkons. Die Musik im Zimmer übertönte die kaum wahrnehmbaren Geräusche, die er verursachte. Vorsichtig beugte er sich vor, um zu sehen, was in dem Raum vor sich ging. Die Gardinen waren zugezogen, der Vorhang aber offen. Kerzen brannten, und David konnte undeutlich eine Gestalt erkennen, wo vermutlich das Bett stand. Er sah eine heftige Vorwärtsbewegung, auf die ein unterdrückter Schrei folgte. Rasch zog er den Kopf zurück, setzte den Rucksack ab und drückte vorsichtig gegen die Tür. Es überraschte ihn nicht, dass sie verschlossen war.
Er kniete nieder und entnahm dem Rucksack einen dünnen Blechstreifen, der an einem Ende eine Einkerbung aufwies. Er schob ihn in den Schlitz zwischen den beiden Hälften der schweren gläsernen Schiebetür und drehte ihn erst nach links und dann nach oben. Ohne abzuwarten, ob der General das leise Klicken gehört hatte, steckte er das Stück Metall in die Jackentasche und griff mit der anderen Hand nach seiner schallgedämpften 9-mm-Pistole. Unverwandt den Blick auf den Schatten am anderen Ende des Raums gerichtet, machte er sich daran, die Tür zu öffnen. Was er sah, als er die Gardinen beiseite schob und den Raum betrat, bereitete ihm Übelkeit.
Vollständig nackt über dem Mädchen stehend, hob der General eine Reitgerte hoch über den Kopf und ließ sie pfeifend auf das Kind hinabsausen, das, auf dem Bauch liegend, mit ausgebreiteten Armen und Beinen an das Bett gefesselt war. Der kleine Körper zuckte, als das scharfkantige Leder die zarte Haut in Fetzen riss, die schon an mindestens einem Dutzend Stellen aufgeplatzt war. Der Schrei der Kleinen klang erstickt; offensichtlich hatte ihr Hamsa einen Knebel in den Mund gesteckt.
Entsetzt sah David die langen, blutigen Striemen auf der Haut des Kindes.
Von Schweiß bedeckt, riss Hamsa die Gerte abermals hoch, um sie erneut auf das Mädchen niedersausen zu lassen. Mit einem Mal überkam David der Wunsch, diesen Unmenschen nicht einfach zu töten, sondern ihm Qualen zuzufügen. Mit einer plötzlichen Bewegung sprang er auf ihn zu, gerade als die Gerte erneut abwärts fuhr. Bevor sie ihr Ziel erreichen konnte, hatte der schwarze Stahl von Davids Pistole den General im Nacken getroffen. Die Gerte entglitt seinen Händen, er taumelte nach vorn und stürzte auf ein Knie. David beugte sich über ihn und versetzte ihm einen Hieb auf den Schädel, diesmal mit dem Knauf der Pistole. Einen Augenblick lang schwankte Hamsa wie ein Baum, bei dem noch unsicher ist, wohin er fallen wird, doch bevor er der Schwerkraft nachgab, packte ihn David, der die Leibwächter im Nebenzimmer nicht alarmieren wollte, an den Haaren und ließ ihn vorsichtig zu Boden sinken.
Dann deckte er die Kleine mit einem Laken zu. Während er hasserfüllt auf Hamsa hinabsah, tobte in ihm ein Kampf. Jeder seiner Instinkte drängte ihn danach, den Mann zu töten und sich dann die Leibwächter vorzunehmen. So hätte ein Profi gehandelt. Doch die nach Rache dürstende Stimme in seinem Inneren, die danach verlangte, dass der General litt,
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