Das Kommando
so rasch geleert hatte und gegangen war, ohne seinen üblichen Vortrag zu halten: Etwas in seinem Zimmer zog ihn unwiderstehlich an. Genau aus diesem Grund hatte es David jetzt eilig. Seine Zuträger hatten die Leibwächter des Generals im Laufe des Tages nicht aus den Augen gelassen und beobachtet, dass sie wieder einmal ein junges Mädchen verschleppt hatten.
David war im Hotel geblieben und hatte einige Minuten nach dem Aufbruch des Generals mit seinen Leibwächtern die Halle aufgesucht, wo einer seiner Männer wartete. Diesem hatte er die beiden Aktenkoffer übergeben, dann war er auf sein Zimmer gegangen, das er drei Tage zuvor bezogen hatte. Dort hatte er ein Paar Latexhandschuhe aus der Tasche genommen und sich vor dem Badezimmerspiegel an die Arbeit gemacht. Er hatte den falschen Bart entfernt und sich die graue Farbe aus Haupthaar und Augenbrauen gewaschen. Jetzt steckte er den Bart mitsamt dem nassen Waschlappen in eine verschließbare Plastiktüte, zog Anzug und Schuhe aus, holte einen Rucksack aus dem Schrank und steckte alles hinein. Anschließend zog er eine schwarze Hose, schwarze Turnschuhe, ein dunkles Hemd und eine dunkle Jacke an. Nachdem er sich noch einmal gründlich im Zimmer umgesehen hatte, um sich zu vergewissern, dass er keine verräterischen Spuren hinterließ, ging er zur gläsernen Balkontür und schob sie auf.
Bevor er hinaustrat, spähte er zum linken und rechten Nachbarbalkon hinüber, um festzustellen, ob ihn jemand sehen konnte. Da die Luft rein zu sein schien, ging er wie beiläufig hinaus und setzte seine Erkundung fort. Aus einem der Zimmer unter sich hörte er laute Musik. Hasserfüllt glühten seine Augen, während er daran dachte, was dort möglicherweise bereits geschah.
General Hamsa war auf vielen Gebieten ein Widerling, auf keinem aber mehr als bei seinen Beziehungen zum weiblichen Geschlecht. Die perverse Vorliebe des Mannes für vorpubertäre Mädchen hatte David im Verlauf der vergangenen Monate entdeckt, während er den General beobachtete. Er wusste von mindestens zwei weiteren Gelegenheiten, bei denen Hamsas Leibwächter junge Palästinenserinnen von der Straße weg verschleppt und in sein Hotel gebracht hatten, wo er sich an ihnen vergangen hatte. Unter Ausnutzung seiner guten Kontakte zu den jordanischen Behörden hatte sich David umgehört und festgestellt, dass die Polizei Hamsa bereits nach dem Verbleib einiger entführter Mädchen gefragt hatte. Schon wenige Tage später aber war von ganz oben die Anweisung gekommen, den General nicht zu behelligen. Den Jordaniern lag nichts daran, ihre Beziehungen zum Irak wegen einiger junger Palästinenserinnen aufs Spiel zu setzen.
Während David ein Kletterseil am Balkongeländer befestigte, konzentrierte er sich ganz auf seine Aufgabe. Er tötete nicht zum ersten Mal, und es würde wohl auch nicht das letzte Mal sein. Stets ging er dabei mit kühler Geschäftsmäßigkeit vor, versagte sich Empfindungen wie Befriedigung oder Zorn. Jetzt allerdings fiel es ihm ein wenig schwer, seine Gefühle zu unterdrücken. Die anmaßende Überheblichkeit des Mannes hatte ihn geärgert. Unter dem Deckmantel arabischer Brüderlichkeit bedienten sich die Iraker der Palästina-Frage, um einen Keil zwischen die arabischen Länder und Amerika zu treiben. Wäre es nur das gewesen – damit hätte er leben können. Er brachte den Vereinigten Staaten eine widerwillige Achtung entgegen und nahm an, dass sie letzten Endes tun würden, was richtig war. Auch dass die Iraker so ungehemmt logen, hätte ihn nicht weiter gestört, denn es gehörte zur Kultur seines Volkes, den Angehörigen anderer Stämme nicht unbedingt die Wahrheit zu sagen. Was aber sein Blut in Wallung brachte, war die Art und Weise, wie die Iraker Palästinenser behandelten, wenn die Weltöffentlichkeit nicht zusah, ihre Aufgeblasenheit und Herablassung, vor allem aber die Art und Weise, wie sie mit ihren Waffengefährten umsprangen. Ein Blick hinter die Fassade aus markigen Worten und hohl tönender Großsprecherei zeigte, dass den Irakern ausschließlich an ihrem eigenen Wohl gelegen war.
Noch etwas an diesem irakischen General stellte Davids sonstige Gelassenheit auf eine harte Probe, nämlich die Verachtung und der Hass, mit denen er Frauen behandelte. David hatte keine Brüder, in Jerusalem war er zusammen mit drei älteren Schwestern aufgewachsen. Sein palästinensischer Vater war Anwalt und seine jordanische Mutter Ärztin. Beide Elternteile hatten in England studiert.
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