Das Kommando
Decke über ihm aus, und das Taxi fuhr rasch an. Allem Anschein nach ging die Fahrt kreuz und quer durch die Straßen von Nablus.
Etwa zwanzig Minuten später hielt der Wagen an. Die Decke wurde fortgezogen, und wieder forderte man ihn auf auszusteigen. Erneut stand er in einem schlecht beleuchteten Parkhaus. Er hatte nicht die geringste Vorstellung, wo er sich befand.
Auf der anderen Seite eines Ganges standen drei Männer neben dem Kofferraum eines Autos und rauchten. Die beiden, denen eine Maschinenpistole von der Schulter hing, kannte David nicht, wohl aber den dritten. Hassan Raschid arbeitete für den Geheimdienst der Palästinensischen Autonomiebehörde. Seine offiziellen Aufgaben waren der Kampf gegen den Terrorismus und das Hinarbeiten auf eine dauerhafte und tragfähige Beziehung mit Israel, doch wie alles, was mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation zu tun hatte, war auch dieser Dienst bis ins Mark verrottet.
Der in Nablus aufgewachsene Hassan Raschid war ein Straßenschläger und seit frühester Kindheit ein eifriger Gefolgsmann Jassir Arafats. An der ersten Intifada von 1987 hatte er sich aktiv beteiligt, wenn auch nicht so, wie man das hätte erwarten dürfen. Als sich der Konflikt zuspitzte, hatte Arafat die Gelegenheit erkannt, seine Macht zu festigen, und mit den Extremistengruppen der Palästinenser gebrochen, indem er einen Palästinenserstaat forderte, der in Koexistenz mit Israel leben sollte.
Dieser kühne Schachzug hatte ihm zum ersten Mal die Achtung der Völkergemeinschaft eingetragen. Allerdings war damit eine gewisse Gefahr verbunden, denn in den Augen der Araber war der Wunsch nach etwas anderem als der vollständigen Zerschlagung des jüdischen Staates unvorstellbar. So führte Arafats Vorgehen zum Zerfall der Einheitsfront des nationalen palästinensischen Kommandos, in der sich die verschiedenen Gruppen zu einer losen Allianz zusammengeschlossen hatten. Der Islamische Dschihad und die Hamas wandten sich gegen Arafat, und es kam zu Ausschreitungen. Indem er die einzige Begabung ausnutzte, über die er verfügte, trug Hassan dazu bei, die Stellung der PLO in Nablus zu festigen, indem er rücksichtslos gegen alle islamischen Extremisten vorging, die Arafat Widerstand leisteten.
Es kostete David große Mühe, seinen Hass auf diesen Mann zu verbergen. Während er mit seinen beiden Aktenkoffern dastand, schnippte Hassan seine Zigarette durch die Luft. Sie flog in hohem Bogen auf ihn zu, wobei sich die brennende Spitze löste und glühende Funken auf seine Schuhe fielen. Langsam hob David den Blick. Selbstgefällig grinste ihn Hassan an. Dabei schien die lange Hakennase in seinem von Narben bedeckten Gesicht ein wenig breiter zu werden.
»Na, du Schönling, was bringst du uns heute Abend?« David beschloss, nicht zu antworten. Er hatte eine unangreifbare Position erreicht, und falls dieser Hassan auf seinem unreifen Schuljungen-Verhalten beharrte, würde er ihn an die wahren Machtverhältnisse erinnern müssen.
Jetzt kam Hassan auf ihn zu. »Du bist doch nicht etwa nach all den Jahren noch sauer auf mich?«
»Aber nein«, heuchelte David Aufrichtigkeit. »Ich liebe dich wie einen Bruder.«
»Na komm schon, Süßer. Wir wissen doch alle, dass es dir Spaß gemacht hat.«
»Unbedingt. Wie wär’s, wenn wir uns noch mal treffen? Dann ramm ich dir einen Stachelstab hinten rein, wie ihn die Viehtreiber benutzen. Eigentlich wundert es mich bei deiner Vorliebe für kleine Jungen, dass du das nicht längst schon selber probiert hast.« Bei diesen Worten Davids verschwand das niederträchtige Grinsen von Hassans Gesicht.
Er hob die rechte Faust und stieß sie aus zwei Schritten Entfernung unbeherrscht gegen David. Da er ihn für ein wehrloses Opfer hielt, achtete er weder auf seine Technik noch auf festen Stand. In den letzten Jahren hatte er hauptsächlich auf Männer eingeprügelt, die irgendwo aufgehängt oder an einen Stuhl gefesselt waren. Er war bei weitem nicht mehr der geübte Straßenschläger wie in früheren Jahren, und als David rasch beiseite trat, riss ihn der Schwung seines eigenen Schlages herum. David war nicht bereit, sich noch mehr von dem Mann gefallen zu lassen, der ihn als Halbwüchsigen von der Straße entführt und gefoltert hatte, weil er nach dessen Geschmack zu viele Juden kannte. Zwanzig Jahre lag es zurück, dass jemand der PLO mitgeteilt hatte, Jabril Khatabi sei ein Sympathisant der Israelis, woraufhin der Schläger Hassan beauftragt wurde, dem
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