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Das kommt davon, wenn man verreist

Das kommt davon, wenn man verreist

Titel: Das kommt davon, wenn man verreist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
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hatte ein rotes Kleid mit kurzen Ärmeln an
und schlanke, braune Arme. Ihr Profil mit den hochangesetzten Wangenknochen und
halb geöffneten Lippen war flach. Ein unendlich geduldiges Gesicht und dafür
viel zu jung. Es erinnerte Rieke an Malinche. Sie kramte alle Pesos, die sie in
ihrer Tasche fand, zusammen und legte sie in den Rebozo, das Umschlagtuch,
damit ein anderer Bettler es ihr nicht stehlen konnte, solange sie schlief.
    Als sie sich aufrichtete, stand Frau Taschner
hinter ihr. »Wenn Sie so weitermachen, werden Sie in wenigen Tagen Ihr Geld los
sein, Federicia.« Und als sie zum Parkplatz zurückgingen, sagte sie: »Die junge
Frau kommt aus den Bergen. Jeden Tag kommen ganze Familien aus den Bergen in
die Stadt. Oben würden sie verhungern. Hier brauchen sie nur zu hungern. Es ist
das kleinere Übel.«
    Rieke konnte die junge Bäuerin trotzdem nicht
vergessen. Frau Taschner spürte das und sagte leicht gereizt: »Warum sehen Sie
hier nur immer das Elend und nicht die Fortschritte, Federicia?«
    »Ich weiß nicht, es tut mir leid. Vielleicht liegt
es daran, daß ich an Fortschritte mehr gewöhnt bin...«, eine Entschuldigung,
die Frau Taschner nicht überzeugte. Rieke übrigens auch nicht.
    Bei ihrer Rückkehr parkten amerikanische
Straßenschiffe vor dem Taschnerschen Anwesen.
    Zwei Schwestern der Señora waren mit ihren
Männern, zahlreichem Nachwuchs, Großeltern, Kindermädchen und ihren eigenen
augenblicklichen Hausgästen eingetroffen und warteten auf den gemeinsamen Start
nach Cuernavaca, wo sie jedes Wochenende gemeinsam zu verbringen pflegten.
Isabellas Familie besaß dort ein großes Haus. Rieke sollte auch mitkommen.
    Rieke zählte die anwesenden Häupter: zwölf
Erwachsene, darunter ein Opa, der ausriß, sobald man ihn einen Augenblick
unbeobachtet ließ, vier Kinder über zehn Jahre und vier darunter, plus drei
Hündchen, genauso hysterisch und unerzogen wie die der Señora.
    Und alle wollten nach Cuernavaca.
    »Wo ist Pepe?« fragte Frau Taschner, nachdem sie
die Truppe umarmt und Friederike vorgestellt hatte. Niemand hatte ihn bisher an
diesem Vormittag gesehen.
    »Er wird doch nicht noch schlafen? — Rosina!«
fing sie das Mädchen ab, das Erfrischungen herumreichte.
    Aber Rosina wußte es auch nicht. Zum Frühstück
war er jedenfalls noch nicht erschienen.
    Auf dem hastigen Weg zu seinem Zimmer im ersten
Stock begegnete sie der alten Büglerin, die zweimal in der Woche ins Haus kam.
Die sagte, sie habe vom Dach aus beim Abnehmen der Wäsche beobachtet, wie Pepe
mit zwei schweren Reisetaschen so gegen neun Uhr das Haus verlassen habe und
mit einem Taxi davongefahren sei.
    Am meisten hatte die Alte an Pepes Auszug
beeindruckt, daß er seine Taschen selber trug.
    Señora Taschner rief die Muttergottes an und
jagte zu seinen Zimmern, gefolgt von drei Verwandten und der sehr
interessierten Friederike.
    Auf seinem Schreibtisch war die Unordnung
beiseite geräumt, um in der Mitte Platz für einen leicht sichtbaren Zettel zu
schaffen:
    »Verzeih, Mamita, wenn ich Dir Kummer mache,
aber ich kann nicht länger hierbleiben. Sucht nicht nach mir. Eines Tages
werdet ihr von mir hören. Grüße Papa und Bobbo und sei herzlich umarmt
    von Deinem
    Pepito
    PS. Grüße bitte auch Friederike, und ich wünsche
ihr noch schöne Tage in Mexiko.«
    Frau Taschner brach mit einem Wehlaut in die
Arme ihrer Schwester. Alle redeten erregt durcheinander. Dazwischen platzte der
Chauffeur mit der Mitteilung, daß es höchste Zeit sei, zum Flughafen zu fahren,
sonst brauchten sie gar nicht mehr zu fahren, denn um diese Zeit sei der
Periferico total verstopft...
    »Ich komme ja schon«, Rieke war froh, dem
allgemeinen Seelenaufstand zu entfliehen.
    Auch der Opa hatte die Aufregung über Pepes
Flucht dazu benutzt, seinen Aufpassern auszubüxen und in das Büffet mit den
Erfrischungen einzubrechen. Er stopfte sie wahllos und kleckernd mit beiden
Händen in sich hinein. Als Rieke vorüberlief, grinste er ihr spitzbübisch zu.
    In seiner Jugend mochte er ein schmucker,
stattlicher Mann gewesen sein.
    O Gott, dachte Rieke flüchtig, wenn ich eines
Tages auch so werde...
     
    Nun saß sie im Auto und freute sich auf das
Wiedersehen mit Bob. Seit dem letzten Stand der dramatischen Entwicklungen im
Hause Taschner sehnte sie ihn weniger als Mann herbei — weibliche Gefühle
bedeuteten in ihrer augenblicklichen Situation blanken Luxus sondern vor allem
als Rettungsanker. Da der Initiator ihrer Mexikoreise bereits am zweiten

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