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Das kommt davon, wenn man verreist

Das kommt davon, wenn man verreist

Titel: Das kommt davon, wenn man verreist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
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zum Dinner als
Vorspeise gegeben. »Probier es wenigstens einmal!« drängte er sie, und Rieke
ahnte: Jetzt rächt er sich dafür, daß er Harzer Käse auf Gänseschmalz und
Eisbein mit Erbsenpüree hat essen müssen.
    Er schob ihr mehrere braune Holzschüsseln zu.
Sie enthielten rohen, marinierten Fisch und winzige, weiße, tote Fische, die
wie Spulwürmer aussahen. Das sollten Aale sein.
    »Jetzt erzähl endlich: Wie ist es denn
ausgegangen?«
    »Malinches Vater hat Mamitas großzügige Angebote
mit einer Arroganz zertreten, als ob es Cucarrachas wären. Du glaubst es nicht:
Er verzichtet auf jegliche Unterstützung für sie und das Baby!«
    Pepe sah Rieke erwartungsvoll an, und das mit
leerem Mund.
    Sie wußte nicht, was sie sagen sollte außer:
    »Was Besseres kann deinen Eltern doch gar nicht
passieren!«
    »Das denkst du. Jetzt kommt es nämlich! Er
verlangt, daß sie statt dessen irgendwo auf dem Lande in Oaxaca — ich habe das
Nest vergessen — eine Schule errichten und einen Lehrer und die Lehrmittel
finanzieren sollen, und das so lange, bis Ester volljährig ist! Wie findest du
das?«
    »Na prima.«
    »Das hat meine Mama im ersten Moment auch
gedacht und seinem Vorschlag zugestimmt — gegen den Rat ihrer Anwälte. Ich
glaube, um meine Zukunft zu retten, wäre sie bereit gewesen, eine Pyramide zu
finanzieren. Sie ist wunderbar, aber viel zu emotionell — leider.« Er suchte
seine Taschen nach Zigaretten ab, fand nur ein leeres Päckchen, aber er wußte,
in welchem Küchentopf Maria die langen Kippen für ihren Bruder aufbewahrte.
    Er suchte sich die beste aus.
    »Und das ist noch nicht alles«, sagte er,
»dieser Sohn einer Hündin verbietet mir jeden weiteren Kontakt mit Malinche.
Ich darf sie nie mehr treffen, Rieke, stell dir das vor! Wenn ich wenigstens
schon volljährig wäre!!!« Sie betrachtete ihn voller Mitgefühl. Er war nicht
nur nicht volljährig, er hatte noch nicht einmal die mittlere Reife. Das
Schlimme ist, daß man in einem Alter Kinder kriegen kann, in dem man noch nicht
die Verantwortung für sie tragen darf.
    »Weißt du, ich hab’ sie so gern. Erst war das
gar nicht so. Bei ihr auch nicht. Wir mußten ein Referat in Biologie zusammen
ausarbeiten. Dadurch ging ich öfter zu ihr. Ich glaube, sie war viel allein.
Sie fand es schön, daß sie mit mir diskutieren konnte. Wir haben uns wahnsinnig
gestritten - über alles - vor allem sozialpolitisch. Wir haben uns einmal so
sehr gezankt, daß wir eine Woche nicht miteinander gesprochen haben. Das war
die Woche, wo sie das mit dem Baby gemerkt hat. Da ging das dann mit der Sorge
los — aber auch das richtige Liebhaben. Komisch... bei andern Männern ist das
meistens umgekehrt, nicht wahr?«
    Er zerdrückte die Kippe von der Kippe auf seinem
Teller. »Hast du Malinche heute nachmittag gesehen?« fragte Rieke.
    »Nein. Ich kam ins Krankenhaus, und sie waren
nicht mehr da. Ihr Vater hat sie heute früh abgeholt. Ich habe sie auch nicht
am Telefon erreicht. Ich könnte ihren Vater umbringen! Und meinen dazu!« Er
hieb schon wieder auf den Tisch. »Alles so ein Wahnsinn! Wenn ich mir
vorstelle, ich soll in drei Wochen ins Scheißinternat. Für Jahre! Bis zum
Abitur!!«
     
    Als sie die Speisereste abräumten, läutete das
Telefon in der angrenzenden Anrichte.
    Rieke hätte nie gedacht, daß der zur
Bequemlichkeit neigende, Bequemlichkeit sichtbar ansetzende Pepe so
wieselschnell laufen konnte. Er hatte den Hörer ergriffen, ehe ein anderer im
Haus abnehmen konnte. Rieke vernahm eine schrille, weinende Stimme im Telefon,
bemerkte, wie Pepes Gesicht sich sichtbar rötete.
    »Si — si — si...«, war alles, was er an Worten
zwischen das Schluchzen setzen konnte.
    Nun redete er, schnell und beschwörend. Dann
knackte es in der Leitung. Er sah den Hörer an, rief noch ein paarmal: »Chica -
Chiquita...! Chiquita!!« (Hieß nicht so eine Bananensorte? erinnerte sich Rieke
bei aller Erregung.)
    Pepe hängte ein und bekam einen Tobsuchtsanfall.
»Dieser gottverfluchte Hurensohn!« schrie er. »Entführt mir mein Mädchen und
mein Baby! Morgen früh fährt er mit ihr fort. Malinche darf mir nicht einmal
Adios sagen... Nicht einmal zu Ende hat er sie telefonieren lassen.
Dieser...«Es zog eine Prozession mexikanischer Flüche an Riekes Ohr vorüber.
    Tränen rannen dabei über sein Gesicht.
    Sie wartete, bis er sich ausgetobt hatte, dann
nahm sie ihn in die Arme.
    Wer weiß, ob er je wieder in seinem Leben so
sehr um ein Mädchen weinen

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