Das kommt davon, wenn man verreist
Brille.
»Pardon...?«
Es handelte sich bei ihm um einen durch und
durch drögen Typ mit feinem Knitternetz über der gelblichen Haut. Bevor er ein
Dörrpflaumen-Herr geworden war, mochte er ein gutaussehender Mann gewesen sein.
Rieke fuhr sich mit dem Fingerkamm durch die
Haare. Beide nickten sich zu wie Zirkuspferde.
»Taschner.«
»Friederike Birkow. Aus Berlin.«
»Ach, Berlin...?« Ein flüchtiges Lächeln.
Plötzlich schimmerte eine Ähnlichkeit durch das Geknitter — die Ähnlichkeit
einer Ähnlichkeit mit Bob Taschner.
»Ich begrüße Sie, Fräulein Birkow.«
»Mein Telegramm ging verloren«, stotterte Rieke,
die begriff, daß weder Frau Taschner noch Pepe den alten Taschner von ihrer
Ankunft unterrichtet hatten.
Sie fühlte sich somit immer heimischer in diesem
Hause.
»Meine Frau hat sich leider schon zurückgezogen,
auch das Personal, aber mein Sohn...«
»Ja, den...«, sagte Rieke erleichtert. »Wo?«
»Er sieht Television.« Herr Taschner betrachtete
Rieke diskret, Rieke betrachtete sich auch diskret abwärts und hielt es für
angemessen, ihren Bademantel anzuziehen und Sandalen an die Füße. Außerdem war
es empfindlich kühl in dieser Nacht.
Herr Taschner brachte sie in den Wohntrakt
hinüber, aus dem es hell flimmerte und Schüsse knallten. Pepe sah einen
Western.
»Vielleicht kümmerst du dich um Fräulein Birkow.
Ich nehme an, Mama hat ein Abendessen für sie herrichten lassen.«
»Sofort...« Pepe klebte mit einem letzten,
langen Blick am Bildschirm. »Du hast aber lange geschlafen, Rieke. Wir haben
versucht, dich zum Mittagessen zu wecken, zum Abendessen — es war
hoffnungslos.«
»Pepe!« mahnte sein Vater ungehalten.
Sofort stellte er den Kasten ab. Herr Taschner
verabschiedete sich.
Rieke sah ihm nach.
»Jetzt kennst du auch meinen Papa«, sagte Pepe.
»Es ist unwahrscheinlich, nicht wahr, wenn man dagegen meine Mutter sieht...«
Mehr sagte er nicht, aber Rieke dachte seine
Gedanken zu Ende: Was hatte ein junges, schönes, reiches Mädchen einmal an
diesem trockenen Witwer mit zwei Kindern gefunden, der fast dreißig Jahre älter
war als sie und als Geschäftsführer einer deutschen Maschinenbaufirma ein gutes
Auskommen, aber kein Vermögen hatte? Unbegreifliche Verbindungen im pubertären
Alter schienen in Pepes Familie öfter vorzukommen.
Rieke ging gleich mit in die Küche — einen Saal
mit alten und neuen Herden und blankgescheuerten Kupferpfannen an den Wänden
aufgereiht. Pepe räumte aus Kühlschränken und Vorratsräumen genug auf den
Tisch, um mehrere hungrige Landarbeiter innerlich auszustopfen. Er wollte
gerade in die vollen steigen, als ihn Riekes Frage: »Jetzt erzähl mal! Wie war’s?«
auf halbem Wege dabei unterbrach. »War’s schlimm mit ihrem Vater?« Pepe legte
das Messer wieder hin. »Ja und nein. Auf alle Fälle war’s ganz anders, als
meine Eltern erwartet hatten. Mamita hatte sicherheitshalber ihre Anwälte
hinzugezogen für den Fall, daß Malinches Vater unverschämte Forderungen stellen
könnte. Man weiß ja nie bei diesen linken Bohemiens.«
»Hat sie ihn auch nach Waffen untersuchen
lassen?« rutschte es aus Rieke heraus.
»Nein, das nicht«, sagte Pepe, »sie haben ihm
unerhört noble Angebote für Malinche und das Kind gemacht. Sie wollten sogar
das Baby adoptieren, stell dir vor, damit es den Namen seines Vaters trägt. Sie
waren wirklich zu allem bereit, unter einer Bedingung — meine Zukunft dürfe auf
keinen Fall beeinträchtigt werden.«
»Auf deutsch: Heiraten kommt nicht in Frage.«
»Ja.« Pepe goß seufzend Sahne und Chilisoße auf
ein paar Tacos. Und kaute: »Leider...«
»Friß nicht so viel! Erzähle! Wie hat ihr Vater
reagiert?«
»Unmöglich, einfach unmöglich. Er muß sich
aufgespielt haben wie Moctezuma persönlich. Der Kerl leidet unter Rassenwahn.«
»Was ist er denn?«
»Mehr Indio als sonstwas bei einer französischen
Großmutter. Stell dir vor, es hat ihn weniger empört, daß seine Tochter ein
uneheliches Baby hat, als von wem sie es hat. In seinen Augen bin ich von Mamas
Seite aus ein spanischstämmiger Ausbeuter Mexikos und von väterlicher ein
Europäer. Beide existieren für ihn nur als zahlungskräftige Käufer seiner
Bilder. Stell dir so etwas vor!«
»Deine Fresserei macht mich ganz nervös«,
stöhnte Rieke.
»Dann iß selbst was«, sagte Pepe und schob ihr
eine Platte zu mit den bläulichen Resten des Schimmelpilzes, der sich an
Maiskolben bildet und eine Delikatesse bedeutet. Es hatte ihn
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