Das Komplott (German Edition)
Jura-Datenbanken, die ich genutzt habe, um jede Urteilsbegründung zu lesen, die jemals von dem verstorbenen Richter Raymond Fawcett veröffentlicht wurde.
Um die Jahrtausendwende herum, irgendwann im Jahr 2000, ist etwas mit ihm passiert. Während der ersten sieben Jahre im Amt war er ein linksgerichteter Verfechter der Individualrechte, voller Anteilnahme für arme und in Schwierigkeiten geratene Angeklagte, schnell dabei, den Vertretern des Gesetzesvollzugs auf die Finger zu klopfen, kritisch gegenüber großen Konzernen und allem Anschein nach darauf bedacht, jeden außer Kontrolle geratenen Prozessführer in äußerst scharfem Ton zu tadeln. Doch innerhalb eines Jahres veränderte sich etwas. Seine Urteilsbegründungen wurden kürzer, waren nicht mehr so gut durchdacht, manchmal sogar ausgesprochen gehässig, und er tendierte eindeutig nach rechts.
Im Jahr 2000 wurde er von Präsident Clinton für einen frei gewordenen Sitz im Vierten Bundesberufungsgericht von Richmond nominiert. Ein solcher Karriereschritt ist der logische berufliche Aufstieg für einen talentierten Richter an einem Bezirksgericht – oder einen mit den richtigen Verbindungen. Am Berufungsgericht wäre er einer von fünfzehn Richtern gewesen, die ausschließlich Berufungsverfahren bearbeiten. Die einzige höhere Ebene ist der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, und es ist nicht klar, ob Fawcett derartige Ambitionen hatte. Die meisten Bundesrichter haben sie, jedenfalls gelegentlich. Doch Bill Clintons Amtszeit ging zu Ende, und das nicht ganz unumstritten. Seine Nominierungen hingen im Senat fest, und als George W. Bush gewählt wurde, war klar, dass Fawcett auch in Zukunft in Roanoke bleiben würde.
Er war fünfundfünfzig. Seine Kinder waren bereits erwachsen oder gerade dabei, das Haus zu verlassen. Vielleicht erlag er einer Art Midlife-Crisis. Vielleicht war seine Ehe kaputt. Sein Schwiegervater war gestorben und hatte ihn in seinem Testament nicht bedacht. Seine ehemaligen Partner wurden reich, während er sozusagen für einen Hungerlohn arbeitete. Was auch immer der Grund dafür war, Fawcett wurde ein anderer Mann auf der Richterbank. Bei Strafsachen urteilte er zunehmend willkürlich und weitaus weniger mitfühlend. Bei Zivilsachen zeigte er weniger Verständnis für den kleinen Mann und schlug sich immer wieder auf die Seite mächtiger Interessengruppen. Richter ändern sich häufig, wenn sie älter werden, doch nur bei wenigen geht es so schnell und abrupt wie bei Raymond Fawcett.
Der größte Fall seiner Karriere war ein Krieg um Uranabbau, der 2003 begann. Damals praktizierte ich noch als Anwalt, ich kannte den Sachverhalt und die wichtigsten Details. Der Rechtsstreit war nicht zu ignorieren; fast jeden Tag stand etwas darüber in der Zeitung.
Durch die Mitte und den Süden Virginias verläuft ein riesiges Uranvorkommen. Da der Abbau von Uran ein ökologischer Albtraum ist, wurde ein Gesetz erlassen, das ihn untersagt. Die Grundeigentümer, Lizenzinhaber und Bergbauunternehmen, die diese Uranvorräte kontrollieren, wollten natürlich so schnell wie möglich mit dem Schürfen beginnen und gaben Millionen für Lobbyarbeit aus, um den Gesetzgeber dazu zu bringen, das Verbot aufzuheben. Doch die Legislative von Virginia widersetzte sich. 2003 reichte ein kanadisches Unternehmen namens Armanna Mines im südlichen Bezirk von Virginia Klage ein und bezeichnete das Verbot als verfassungswidrig. Es war ein Frontalangriff mit allen Mitteln, unter der Führung von Anwälten, welche zu den teuersten gehörten, die man sich mit Geld kaufen konnte.
Bald kam heraus, dass Armanna Mines ein Konsortium aus Bergbauunternehmen aus den Vereinigten Staaten, Australien, Russland und Kanada war. Schätzungen zufolge betrug der Wert der Uranvorkommen in Virginia allein fünfzehn bis zwanzig Milliarden Dollar.
Nach dem Zufallsprinzip, das damals in Kraft war, wurde der Fall Richter McKay in Lynchburg zugewiesen, der vierundachtzig Jahre alt war und an Demenz litt. Er führte gesundheitliche Gründe an und gab den Fall weiter. Als Nächster war Raymond Fawcett an der Reihe, der keinen triftigen Grund hatte, um abzulehnen. Die beklagte Partei war der Commonwealth of Virginia, doch bald schon weitete sich das Verfahren auf Städte, Gemeinden und Countys aus, unter denen sich Uran befand, sowie einige wenige Grundbesitzer, die nichts mit der Zerstörung der Umwelt zu tun haben wollten. Die Klage blähte sich zu einem gigantischen,
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