Das Komplott (German Edition)
hier, um einen Tag nach dem anderen zu überleben und dabei so viel Selbstachtung und Würde wie möglich zu behalten. Wir sind Abschaum, wir haben nichts zu melden, wir sind gewöhnliche Kriminelle, die vor der Gesellschaft weggesperrt werden, und die Gefängniswärter, die uns das unter die Nase reiben, sind nie weit weg. Allerdings sollte man sie nie als Wärter bezeichnen, wenn sie einen hören können. O nein. Sie sind »Correction Officers«, also muss man sie mit »Officer« ansprechen, was natürlich erheblich besser klingt. Die meisten Wärter sind ehemalige Polizisten, Deputies oder Soldaten, die in diesen Jobs nicht weit gekommen sind und jetzt im Gefängnis arbeiten. Ein paar von ihnen sind ganz in Ordnung, doch die meisten sind Verlierer und so dumm, dass sie nicht mal das merken. Aber das können wir ihnen natürlich nicht sagen. Schließlich sind sie uns weit überlegen, obwohl sie strohdumm sind, und sie genießen es, uns ständig daran zu erinnern.
Die Wärter wechseln in einem festen Turnus, damit verhindert wird, dass sie sich mit einem Gefangenen anfreunden. Ich vermute mal, dass so etwas trotzdem passiert, aber eine der Kardinalregeln im Strafvollzug lautet, dass man seinem Wärter so gut wie möglich aus dem Weg geht. Behandle ihn mit Respekt, tu genau das, was er sagt, mach ihm keinen Ärger, aber vor allem: Geh ihm aus dem Weg.
Mein aktueller Wärter gehört nicht zu den besseren. Darrel Marvin ist ein stämmiger weißer Junge mit Kugelbauch, der nicht älter als dreißig sein kann und ständig versucht, lässig zu gehen, was aber nicht klappt, weil ihm zu viel Speck auf den Hüften sitzt. Er ist ein ignoranter Rassist und kann mich nicht leiden, weil ich zwei College-Abschlüsse habe, also zwei mehr als er. Jedes Mal, wenn ich gezwungen bin, ihm in den Arsch zu kriechen, fechte ich einen heftigen inneren Kampf mit mir aus. Aber ich habe keine Wahl. Jetzt brauche ich ihn.
»Guten Morgen, Officer Marvin«, begrüße ich ihn mit einem falschen Lächeln, als ich ihn vor der Kantine aufhalte.
»Was gibt’s, Bannister?«, knurrt er.
Ich gebe ihm ein Blatt Papier, ein offizielles Antragsformular. Er nimmt es und tut so, als würde er es lesen. Fast hätte ich ihm bei den längeren Wörtern geholfen, doch ich beiße mir auf die Zunge. »Ich muss mit dem Direktor reden«, antworte ich höflich.
»Warum wollen Sie mit dem Direktor reden?« Er versucht immer noch, das ziemlich einfach gehaltene Formular zu lesen.
Was ich mit dem Direktor zu bereden habe, geht weder den Wärter noch sonst jemanden etwas an, aber Darrel daran zu erinnern würde nur Ärger geben. »Meine Großmutter liegt im Sterben, und ich würde gern zu ihrer Beerdigung gehen. Es sind nicht einmal hundert Kilometer von hier.«
»Wann, glauben Sie, ist sie tot?« Was für ein Klugscheißer.
»Bald. Bitte, Officer Marvin. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Der Direktor ist nicht dafür zuständig, so einen Mist zu genehmigen, Bannister. Das sollten Sie inzwischen schon gemerkt haben.«
»Ich weiß, aber der Direktor schuldet mir noch einen Gefallen. Ich habe ihm vor ein paar Monaten juristischen Rat gegeben. Bitte, leiten Sie das Formular an ihn weiter.«
Er faltet das Stück Papier zusammen und steckt es in die Tasche. »In Ordnung, aber das ist Zeitverschwendung.«
»Danke.«
Meine beiden Großmütter sind schon vor Jahren gestorben.
Im Gefängnis ist nichts dafür ausgelegt, es den Gefangenen einfacher zu machen. Einen simplen Antrag abzulehnen oder zu genehmigen sollte eigentlich nur ein paar Stunden dauern, doch das wäre viel zu unkompliziert. Vier Tage vergehen, bevor Darrel mich informiert, dass ich mich morgen, am 18. Februar, um zehn Uhr morgens im Büro des Direktors melden soll. Noch ein falsches Lächeln meinerseits, dann bedanke ich mich bei ihm.
Der Direktor ist der König unseres kleinen Reichs und besitzt natürlich das aufgeblasene Ego eines Menschen, der durch Erlass regiert oder glaubt, dass er das tun sollte. Diese Leute kommen und gehen, und es ist unmöglich, Sinn oder Unsinn der vielen Versetzungen zu verstehen. Aber da es – wie bereits erwähnt – nicht meine Aufgabe ist, den Strafvollzug zu reformieren, kümmere ich mich nicht darum, was in der Verwaltung passiert.
Der aktuelle Direktor ist Mr. Robert Earl Wade, ein nüchterner Mensch, der Karriere im Strafvollzug gemacht hat. Er hat sich gerade zum zweiten Mal scheiden lassen, und es stimmt tatsächlich, dass ich ihm die
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