Das Komplott (German Edition)
keinen Fehler des Mörders, nur eine Handvoll nutzloser Hinweise und sehr wenige Verdächtige aus der Prozessliste des Richters gab, traten die Ermittlungen auf der Stelle.
Als medienwirksam eine Belohnung von hunderttausend Dollar ausgesetzt wurde, trug das nur wenig dazu bei, Anrufe bei den Hotlines des FBI zu generieren.
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Da Frostburg ein Camp mit geringen Sicherheitsmaßnahmen ist, haben wir mehr Kontakt zur Außenwelt als die meisten anderen Gefangenen. Unsere Post kann geöffnet und gelesen werden, was aber nur selten passiert. Wir haben Zugang zu E-Mail, aber nicht zum Internet. Es gibt Dutzende Telefone und eine Menge Regeln für ihre Benutzung, doch im Grunde genommen können wir so viele R-Gespräche führen, wie wir wollen. Mobiltelefone sind strikt verboten. Wir können Dutzende Zeitschriften von einer genehmigten Liste abonnieren. Jeden Morgen werden mehrere Zeitungen geliefert, die in einem abgetrennten, »Kaffee-Ecke« genannten Teil der Kantine ausliegen.
Und dort fällt mir eines Morgens die Schlagzeile in der Washington Post ins Auge: BUNDESRICHTER IN DER NÄHE VON ROANOKE ERMORDET.
Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Das ist der Moment, auf den ich gewartet habe.
Seit drei Jahren bin ich besessen von Raymond Fawcett. Ich kenne ihn nicht persönlich, ich habe nie seinen Gerichtssaal betreten, nie eine Klage in seinem Zuständigkeitsbereich – dem südlichen Bezirk von Virginia – eingereicht. Meine Fälle habe ich fast ausschließlich vor lokalen Gerichten verhandelt. Nur selten einmal habe ich mich auf die Bundesebene gewagt, und wenn, war es immer im nördlichen Bezirk von Virginia, der alles im Norden von Richmond umfasst. Der südliche Bezirk besteht aus Roanoke, Lynchburg und dem dicht besiedelten Großraum Virginia Beach und Norfolk. Vor Fawcetts Ableben gab es zwölf Bundesrichter, die für den südlichen Bezirk zuständig waren, und dreizehn für den nördlichen.
Hier in Frostburg habe ich mehrere Gefangene kennengelernt, die von Fawcett verurteilt worden sind, und ohne allzu neugierig zu erscheinen, habe ich sie über ihn ausgefragt. Dazu gab ich vor, ihn zu kennen und mehrere Fälle in seinem Gerichtssaal verhandelt zu haben. Diese Gefangenen hassten ihn ohne Ausnahme und waren der Meinung, dass er es mit der Länge ihrer Gefängnisstrafen übertrieben habe. Es schien ihm besonders viel Spaß zu machen, Wirtschaftsverbrechern einen langen Vortrag zu halten, bevor er seine Entscheidung verkündete und sie hinter Gitter schickte. Bei diesen Verhandlungen war immer mehr Presse als sonst anwesend, und Fawcett hatte ein gewaltiges Ego.
Der Richter hatte sein Grundstudium an der Duke University in North Carolina absolviert und dann Jura an der Columbia University in New York studiert, anschließend arbeitete er einige Jahre bei einem Finanzunternehmen der Wall Street. Seine Frau und ihr Geld stammten aus Roanoke, wo sie sich auch niederließen, als er Mitte dreißig war. Er ging zur größten Anwaltskanzlei der Stadt und arbeitete sich rasch und skrupellos nach oben. Sein Schwiegervater unterstützte die Demokraten seit Jahren mit großzügigen Spenden, und 1993 ernannte Präsident Clinton Fawcett zum Bundesrichter auf Lebenszeit am Bezirksgericht für den südlichen Bezirk von Virginia.
In der amerikanischen Justizwelt ist ein solches Amt mit immensem Ansehen, aber nicht gerade viel Geld verbunden. Damals betrug sein neues Gehalt hundertfünfundzwanzigtausend Dollar im Jahr, etwa dreihunderttausend Dollar weniger als das, was er als fleißiger Partner in einer florierenden Kanzlei verdient hatte. Mit achtundvierzig war er einer der jüngsten Bundesrichter des Landes und – mit fünf Kindern – äußerst knapp bei Kasse. Als sein Schwiegervater begann, ihm unter die Arme zu greifen, ließ der finanzielle Druck nach.
In einem langen Interview in einer dieser juristischen Fachzeitschriften, die kaum jemand liest, beschrieb er einmal seine frühen Jahre auf der Richterbank. Ich fand das Heft durch Zufall in der Gefängnisbücherei, in einem Stapel Magazine, die weggeworfen werden sollten. Es gibt nicht viele Bücher und Magazine, die meinen neugierigen Augen entkommen. Häufig lese ich fünf oder sechs Stunden am Tag. Die Computer hier sind Desktop-Geräte, technisch gesehen seit ein paar Jahren veraltet und leicht ramponiert, da sie praktisch im Dauereinsatz sind. Aber weil ich der Bibliothekar bin, habe ich fast unbegrenzten Zugang. Das Camp abonniert zwei digitale
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