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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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rundlich, mit kühler Miene.
    »Nein«, erwiderte ich und zuckte die Schultern.
    »Wollen Sie sich einen Termin geben lassen?«
    »Nein, ich würde gern die Psychologin sofort sprechen«, sagte ich ruhig.
    »Ah, tut mir leid, aber ich nehme niemanden ohne Termin.«
    Sie war es also persönlich. Ich überlegte, ob sie wie eine Psychologin aussah. Oder vielmehr fragte ich mich, ob eine Psychologin meinem Psychiater ähnelte. Erinnerte mich etwas in ihrem Blick an Doktor Guillaume? Ich befand resigniert, dass dies wohl keine große Rolle spielte. Es wäre beruhigend gewesen, aber ich musste mich damit abfinden: Mein Psychiater war tot, ich musste zu jemand anderem ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Zu einer völlig unbekannten Person.
    »Ja, ich verstehe, aber es handelt sich um einen Notfall«, beharrte ich.
    »Ein Notfall?«
    »Ja. Ich möchte wissen, ob ich schizophren bin.«
    Meine Gesprächspartnerin runzelte die Stirn.
    »Ich verstehe.«
    Sie zögerte. Ich wich keinen Zentimeter. Schaute sie einfach an. Mehr wollte ich nicht sagen. Es war eine Art Test. Wenn sie beschloss, dass es sich lohnte, darüber nachzudenken, war es vielleicht ein Zeichen, dass ich ihr vertrauen konnte.
    »Gut«, sagte sie mit einem Seufzer, »ich kann Sie in einer Viertelstunde drannehmen, aber nicht für eine ganze Sitzung. Und dann müssten Sie einen Termin ausmachen … Wissen Sie, anders geht es nicht.«
    »Danke.«
    Sie ließ mich eintreten. Wir durchquerten einen langen holzgetäfelten Flur, dann bat sie mich, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Ich folgte ihrer Aufforderung, fühlte mich etwas unbehaglich, legte die Hände zwischen die Schenkel wie ein verschüchtertes Kind. Die Frau verschwand hinter einer Doppeltür.
    Ich saß einen endlos langen Moment wie gelähmt da, reglos, dann entspannte ich mich und sah mich in dem Raum um wie ein Schüler vor dem Büro des Direktors. In einer Ecke zu meiner Linken lagen in großen Waschmittelkartons Spielsachen aus Holz und Plastik. Zu meiner Rechten stand ein kleines wackeliges Regal mit unordentlich aufgereihten Büchern. Mein Blick fiel unwillkürlich auf einen großen roten Titel, der sich von den anderen abhob. Kramer gegen Kramer. An den Wänden hatte man, nach ihrem Zustand zu schließen vor langer Zeit, Poster mit Notrufnummern der SOS-Frauenhäuser und anderer Hilfsorganisationen aufgehängt. Auf einem kleinen Tisch vor mir lagen Stapel abgegriffener Zeitschriften. Ganz oben versicherte ein Paris-Match, alles über das Privatleben des Premierministers zu enthüllen. Eine Ausgabe der Elle pries eine Sommerdiät an, die garantiert wirken sollte.
    Ich zog meine Hände zwischen den Schenkeln hervor und rieb sie nervös aneinander. War es eine gute Idee gewesen, hierherzukommen? Ja, bestimmt. Es war vernünftig. Sogar sehr, und ich konnte stolz darauf sein. Ein sinnvolles Unterfangen.
    Auf jeden Fall brauchte ich eine Meinung von außen. Den Rat eines Experten. Ich konnte mich nicht allein aus meinen Ängsten befreien und auch nicht mit meinem plötzlichen Zweifel an meiner Krankheit fertig werden. Doktor Guillaume war tot. Oder hatte nie gelebt. Ich wusste es nicht mehr … Ja, ich brauchte wirklich Hilfe, daran gab es keinen Zweifel.
    Einige Zeit später, als ich versuchte, die Titel weiterer Bücher zu entziffern, öffnete sich die Tür wieder. Ich hörte, wie die Psychologin sich verabschiedete, und sah eine junge Frau zwischen fünfundzwanzig und dreißig herauskommen. Sie ging durch den Warteraum, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Sie trug die Haare sehr kurz, einen Herrenschnitt, hatte den Teint einer Südländerin, vielleicht sogar einer Nordafrikanerin, eine goldfarbene Haut. Ihre Gesichtszüge waren zart, aber ihr Ausdruck war traurig und wütend. Ihre Augen funkelten in Frühlingsgrün. Ich sah ihr nach, wagte aber nicht, auf Wiedersehen zu sagen. Bei Doktor Guillaume hatte ich nie andere Patienten gesehen.
    »Monsieur, bitte kommen Sie.«
    Ich erhob mich langsam, ging durch die Tür und rieb mir dabei mit der linken Hand die Nase. Ich wurde immer nervöser. Die Psychologin setzte sich hinter einen chaotischen Schreibtisch und betrachtete mich ernst.
    »Setzen Sie sich«, forderte sie mich auf und wies auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.
    Ich setzte mich und betrachtete das Chaos im Raum. Es gab jede Menge Bücher, einen Computer, der unbeachtet auf dem Boden stand, einen weißer Ventilator. Ich hatte mit einer kargeren Einrichtung gerechnet, die vor allem besser

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