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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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aufgeräumt war. Konnte so eine unordentliche Psychologin wirklich gut sein?
    »Gut, zuerst einmal, wie heißen Sie?«
    »Ich heiße Vigo Ravel, wie der Komponist, und bin sechsunddreißig.«
    Sie notierte meinen Namen in ein großes schwarzes Heft.
    »Erzählen Sie mir alles.«
    »Frau Doktor, ich glaube …«
    »Ich muss Sie unterbrechen«, sagte sie und hob den Kuli. »Ich bin keine Ärztin, ich bin Psychologin.«
    »Ist das nicht dasselbe?«
    »Aber nein, keineswegs. Ich habe kein Medizinstudium absolviert …«
    »Ach, aber das macht nichts«, sagte ich lächelnd, »ich bin verrückt, nicht krank.«
    Sie blieb erstaunlich gelassen, lachte nicht.
    »Warum sagen Sie, dass Sie verrückt sind?«
    »Eigentlich sage nicht ich das. Meine Eltern sagen es und mein Psychiater, Doktor Guillaume. Sie sagen, ich sei schizophren. Ich bin seit Jahren in Behandlung.«
    »Und Sie glauben es nicht?«
    Sie sprach mit monotoner Stimme und nickte regelmäßig, als ob sie mir versichern wollte, dass sie alles verstehe, was ich sagte, oder um mich zu beruhigen. Und das Erstaunliche ist, dass es funktionierte. Ohne es erklären zu können, vertraute ich dieser Frau. In ihrem Blick gab es einen Widerspruch, der mir gefiel: Sie war sowohl mütterlich als auch neutral. Beschützend und unparteiisch. Ich hatte den Eindruck, dass ich ihr alles sagen konnte und sie mich nicht verurteilen würde. Im Gegensatz zu Doktor Guillaume, der mich immer zu bewerten schien.
    »Gut, es ist etwas komplizierter. Anfangs glaubte ich ihnen nicht, aber schließlich doch und jetzt habe ich erneut Zweifel. Ich gebe zu, es ist etwas verwirrend. Ich hätte gern mit meinem Psychiater darüber geredet, ich hätte Sie nicht belästigt, aber er ist tot, er ist bei dem Attentat umgekommen.«
    Ich sah, wie sie langsam den Kopf hob, eine Augenbraue leicht angehoben. Sie versuchte, ihre Überraschung zu verbergen. Aber sie machte mir nichts vor. Ich lächelte.
    »Ihr Psychiater ist bei dem Attentat im Viertel La Défense umgekommen?«, fragte sie und räusperte sich.
    »Ja. Zumindest glaube ich es. Ich weiß jetzt nichts mehr genau. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob er je existiert hat, wissen Sie. Entschuldigen Sie, aber ich muss es wissen: Das Attentat hat doch stattgefunden, nicht wahr?«
    Dieses Mal versuchte sie nicht, ihre Überraschung zu verbergen. »Ja«, erwiderte sie stirnrunzelnd. »Es gab sehr wohl ein Attentat im Geschäftsviertel La Défense. Warum zweifeln Sie, ob es Ihren Psychiater wirklich gegeben hat?«
    Ich verzog das Gesicht. Je mehr Dinge ich erklärte, desto mehr wurde ich mir bewusst, wie seltsam meine Geschichte klang.
    »Als ich nach La Défense zurückkehrte, sagten mir die Leute, die sich um die Opfer kümmerten, dass im Turm keine Praxis gewesen sei. Aber genau dort suchte ich jede Woche Doktor Guillaume auf, und das seit Jahren. Genau dorthin ging ich am Tag des Attentats. Kennen Sie Doktor Guillaume? Meine Eltern sagen, er habe einen guten Ruf.«
    »Nein, tut mir leid, ich kenne ihn nicht. Hat man Sie nach dem Attentat versorgt?«
    »Nein.«
    »Hat man Sie keinem psychologischen Test unterzogen?«
    »Nein, weil ich erst mal geflüchtet bin …«
    »Aber Sie waren genau zur Zeit des Attentats im SEAM-Turm?«
    »Ja, aber ich habe überlebt. Weil ich das Gebäude verließ, bevor die Bomben explodierten. Und deshalb bin ich hier. Weil ich überlebt habe, heißt das, dass ich nicht wirklich schizophren bin. Und ich muss wissen …«
    Sie musterte mich wortlos.
    »Glauben Sie, dass ich schizophren bin?«, fragte ich.
    »Ich mag nicht behaupten, jemand sei schizophren. In der Psychologie werden nicht die Personen, sondern die Probleme klassifiziert. Ich sage lieber, ein Mensch zeigt eine Schizophrenie …«
    Ich nickte, aber im Grunde genommen war es mir egal, ob etwas psychologisch korrekt ausgedrückt war oder nicht. Ich wollte einfach wissen, ob ich völlig meschugge war oder nicht. »Gut, aber zeige ich Ihrer Meinung nach eine Schizophrenie oder nicht?«
    »Das müsste Ihr Psychiater eher beurteilen können, da er Sie lange Zeit betreut hat. Seine Diagnose wäre viel sicherer als meine.«
    »Ja, aber mein Psychiater ist tot. Und ich muss es wissen. Es ist dringend. Sie dürfen mich nicht im Zweifel lassen. Sie sind Psychologin. Sie sind doch fähig, einen Schizophrenen zu erkennen, oder? Das ist die Grundlage. Wenn nicht, verweigern Sie jemandem Ihre Hilfe, der in Gefahr schwebt. Woher weiß man, ob man schizophren ist?«
    Ich

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