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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Gepäck?«, fragte er beiläufig.
    »Nein.«
    »Dann bitte ich Sie, im Voraus zu zahlen.«
    Ich gab ihm den Betrag für die erste Übernachtung in bar. Er seufzte und reichte mir einen Schlüssel.
    »Zimmer 44, zweiter Stock.«
    Und er ließ mich ohne ein weiteres Wort gehen.
    Ein paar Stunden später war er sogar bereit, mir für einen Fünfzig-Euro-Schein eine Flasche Whisky und eine Stange Camel auf mein Zimmer zu schicken.
    Ich blieb liegen, rauchte eine Zigarette nach der anderen, war schockiert, stumm und stopfte mich mit Anxiolytika voll. Menschen wie ich haben immer ein Arsenal von Medikamenten zur Hand. Nach ein paar Jahren vergessen die Ärzte, was sie einem verschreiben. Ich habe von allem etwas: Schlafmittel, Neuroleptika, Antidepressiva. Wenn man alles probiert hat, fünfzehn Jahre lang, findet man immer für jeden Augenblick die richtige Pille. Wenn man ein wenig abenteuerlustig veranlagt ist, kennt man sogar die Mischungen und die Wirkung, wenn man Alkohol dazu trinkt.
    Ich spülte die Pillen mit Alkohol hinunter, mit viel Alkohol.
    Zwei Tage blieb ich in meinem Zimmer. Vielleicht auch länger. Ich hatte vier Schachteln Zigaretten geraucht und gelbe Finger. Ich litt unter Angstattacken, unter Halluzinationen und plötzlichem Gedächtnisverlust. Alles hatte sich verschlimmert, und ich hatte Angst. Einfach Angst, weil ich es wusste.
    Mein Körper zitterte. Ich saß in der Hitze und in der Dunkelheit des kleinen Zimmers wie in der Falle. Das Zimmer war so standardisiert, so anonym und so gar nicht wirklich. Alles war quadratisch. Das Bett, der kleine Fernseher, die Möbel … Es war kein Zimmer, sondern eine Zelle, ein Käfig, ein Krankenhausbett. Ich hatte Lust zu brüllen, aber meine eigene Stimme erschreckte mich. Wie alle anderen. Die Stimmen in meinem Kopf oder die draußen, die ich in der heißen Nacht vernahm, diese unbestimmten Echos, die von der Straße heraufdrangen. Traurige Stimmen. Verwirrte Sätze.
    Alles bedrückte mich. Der Geruch nach Reinigungsmitteln, die Klimaanlage, die Blasen im Verputz, die sich langsam zu bewegen schienen. Dieses Pariser Hotel, dessen weiße Wände eine tiefere Gesundheitsschädlichkeit nur schlecht übertünchten, schien mich vollkommen vernichten zu wollen. Und wenn ich hierblieb, würde es das bestimmt schaffen.
    Ich erinnere mich vage, dass ich in der ersten Nacht einen Augenblick der Klarsicht erlebte, in dem mir die Angst ein wenig Atem gönnte. Ich stieß einen langen Seufzer aus. Ich lag ausgestreckt auf dem steifen Lattenrost, mit schmerzendem Rücken, benebeltem Kopf und blickte auf den Nachttisch zu meiner Linken. Dort lag meine Uhr, neben der Whiskyflasche. Meine alte Quarzuhr, die ich immer bei mir trug. Ich erinnere mich nicht mehr an den Tag, an dem ich sie erworben hatte. Sie war immer da gewesen, an meinem Handgelenk, treu, sie war von meinen wenigen Habseligkeiten vielleicht der Gegenstand, an dem ich am meisten hing. Eines Tages hatte man mir versichert, dass sie einen gewissen Marktwert habe – es war eine Hamilton-Uhr, Modell Pulsar, eine der ersten elektronischen Uhren mit digitalem Display. Sie stammte vom Anfang der siebziger Jahre, aber sie besaß für mich vor allem einen sentimentalen Wert, sie bildete ein Band zu meiner Vergangenheit. Und jetzt war sie kaputt. Sie blinkte noch, wie ein letzter Seufzer. Als ich hingefallen war, niedergeworfen durch die Gewalt der Explosion, war das Ziffernblatt zerbrochen. Seit dem Attentat waren auf dem Ziffernblatt in roten Punkten diese vier Zahlen zu lesen.
    Eine Zeit, die alle Uhren und alle Wecker der Welt angeben können, die es aber gar nicht gibt. 88:88. Das zeitliche Niemandsland, in dem ich dahinvegetierte, gefangen, ungläubig. Mein Leben war stehen geblieben in dieser unsichtbaren Ellipse, in die sich kein Zeiger jemals vorgewagt hatte. Ich lag verstört auf der zu harten Matratze eines Hotelzimmers über den Marschallboulevards, wie festgenagelt, völlig verwirrt, erstickt von der Angst und den Medikamenten, eingezwängt in die endlosen Sekunden einer Zeit, die nicht existierte.
    Ich lächelte. Ich befand mich also außerhalb der Zeit. Die Vorstellung war amüsant. Amüsant für einen Schizophrenen. Ich wandte erneut den Kopf und ließ meine Uhr, wo sie war. Ich zündete wieder eine Zigarette an und dachte an die vergangenen seltsamen Tage, an den Irrsinn, den ich erlebt hatte. Ich spürte, wie mir die Schweißtropfen über die Stirn liefen. Ich versuchte nicht einmal, sie abzuwischen.

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