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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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studierte die Falten auf meinem Bauch. Wie viel von diesem Körper gehörte mir? Wirklich mir? Dann betrachtete ich meinen Penis. Dieses verdammte Geschlechtsteil, das anscheinend nie mit einer Frau zu tun gehabt hatte, so leblos, wie es da hing. Vielleicht hatte es nie eine Frau begehrt. Ich konnte mich nicht erinnern. Ist man noch ein Mann, wenn man keinerlei Begierde verspürt?
    Ich hob den Kopf und begegnete meinem Blick. Das war wie ein Test. Etwas war mit diesem Spiegel. Mit allen Spiegeln.
    Verdammte Neuroleptika!
    Voller Wut packte ich den Mülleimer, der zu meinen Füßen stand, drehte mich um, ging auf den Nachttisch zu und warf sämtliche Schachteln hinein.
    Schluss jetzt. Ich höre auf damit. Ich nehme diese verdammten Pillen, die mir das Leben versauen, nicht mehr. Vielleicht verrecke ich, aber ich habe die Nase voll. Ich höre auf.
    Einen Moment lang betrachtete ich die Etiketten und Schachteln, die sich in dem Mülleimer türmten. Dann wandte ich mich zum Fenster, riss es weit auf und warf den ganzen Inhalt auf die Straße. Die silbernen Tabletten und die Beipackzettel flatterten wie welkes Laub durch die Luft und verteilten sich auf der Straße und den Trottoirs. Ich stieß einen Siegesschrei aus, ein spöttisches Lächeln umspielte meine Mundwinkel.
    Dann holte ich saubere Kleidung aus meinem Rucksack und zog mich in aller Eile an.
    Ich bin nicht schizophren.
    Ich schlüpfte in meine Schuhe, nahm das Geld aus meiner kleinen Holzschachtel, verstaute es in meinem Portemonnaie und verließ entschlossen dieses verhasste Zimmer.
    Ich lief die Hoteltreppe hinunter und ging zur Rezeption. Der Mann an der Rezeption sagte mit verlegenem Lächeln:
    »Monsieur, es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe, aber ich glaubte, es sei Ihnen etwas zugestoßen.«
    »Wie viel schulde ich Ihnen?«, fragte ich barsch.
    »Zwanzig Euro pro Nacht, das macht vierzig.«
    Ich reichte ihm das Geld.
    »Ich werde sicher noch ein paar Tage bleiben«, erklärte ich ihm.
    »In Ordnung. Jetzt, da ich Sie kenne und weiß, dass Sie zahlen, ist das kein Problem. Sie können die Rechnung am Ende bezahlen. Sie müssen verstehen, Monsieur …«
    »Natürlich. Danke.«
    Ich fügte nichts mehr hinzu und ging schnell hinaus.
21.
    Die Augustsonne brannte auf den Boulevard. Die Bäume und die Menschen waren voller Leben. Ich blickte mich um. Alles sah so normal aus, wie ich es einst gekannt hatte. Ruhig, wirklich, aber in einen goldenen Schein gehüllt.
    Ich ging das Trottoir entlang, mit einem, wie ich meinte, sicheren Schritt. Von Zeit zu Zeit linderte eine Brise die sommerliche Schwüle und strich über mein angespanntes Gesicht. Manchmal fuhren Autos an mir vorbei, völlig gleichgültig. Männer, Frauen liefen in der Gegenrichtung. Einige Läden hatten geöffnet, nicht die ganze Stadt war im Urlaub. Ein Zeitungskiosk mit seinen grellen Schlagzeilen erinnerte an die Attentate, eine Litfaßsäule, bedeckt mit Ankündigungen von Stadtfesten, Konzerten und Abendveranstaltungen, etwas weiter eine Bäckerei, aus der ein köstlicher Duft nach Hörnchen und Gebäck drang. Befestigt an den Rohren eines kleinen grünen Geländers warteten Fahrräder, Scooter und Motorräder auf die Rückkehr ihrer Besitzer. Die Realität schien mir vollkommen, ganz und gar eindeutig. Nichts ging darüber hinaus. Beruhigt reihte ich mich in diese greifbare Welt ein, vermied sorgfältig die Gitter über den Metroschächten und die Gullys.
    Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf, während ich mit dem Blick auf die Fassaden der Gebäude weiterging. Ich überquerte mehrere Straßen, die Fäuste in den Taschen geballt, fast unbeschwert. Nach etwa einer Viertelstunde sah ich endlich, was ich suchte. In einer kleinen Straße hinter der Place Paul Léautaud an einer Mauer stand auf einem Messingschild neben der Flügeltür: ›Sophie Zenati, Psychologin, 1. Stock links‹.
    Ohne Zögern betrat ich die Eingangshalle des alten Pariser Gebäudes und stieg die Stufen einer kleinen roten Treppe hinauf. Im ersten Stock blieb ich kurz vor der Tür stehen, biss mir auf die Unterlippe, ein wenig unentschlossen, doch dann läutete ich. Nichts. Niemand da? Ich läutete erneut, beunruhigt. Wenn diese Praxis nicht besetzt war, würde ich dann die Energie aufbringen, eine andere zu suchen? Dann hörte ich Schritte, die sich näherten. Holzdielen knarrten. Die Tür ging auf.
    »Guten Tag. Haben Sie einen Termin?«
    Die Stimme gehörte einer etwa vierzigjährigen Brünetten, ein wenig

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