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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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glaube, sie seufzte leicht.
    »Es ist ziemlich schwierig, aber man fängt langsam an, dieses Problem besser zu erkennen. Kennen Sie die Geschichte, wie diese Krankheit entdeckt wurde, Monsieur Ravel?«
    »Ja, ein bisschen.«
    »Die ersten Studien von Emil Kraepelin, sagt Ihnen das etwas?«
    »Ja. Doktor Guillaume hat mir davon erzählt. Das ist der Psychiater, der in den Jahren um 1900 die Schizophrenie von der Paranoia unterschieden hat, nicht wahr?«
    »Genau. Anfangs nannte er das Dementia praecox, vorzeitige Demenz, weil sie vor allem junge Männer zwischen achtzehn und fünfundzwanzig betrifft. Diese Unterscheidung war grundlegend. Inzwischen hat sich die klinische Sichtweise der Schizophrenie sehr weiterentwickelt. Um sie zu diagnostizieren, gibt es verschiedene Methoden. Ihr Psychiater hat Ihnen sicherlich auch darüber berichtet. Im Allgemeinen beruft man sich auf die diagnostischen Kriterien des DSM IV.«
    »Ja, ja, ich erinnere mich. Aber damals habe ich nicht wirklich darauf geachtet. Was genau ist das?«
    »Das ist die amerikanische Klassifizierung psychiatrischer Krankheiten. Darunter findet man insbesondere eine Liste der charakteristischen Symptome der Schizophrenie oder vielmehr der Schizophrenien. Wenn ein Patient mindestens zwei der Symptome zeigt, kann man sagen, er leide unter Schizophrenie.«
    »Ah ja«, rief ich. »Genau das will ich wissen. Ich möchte wissen, ob ich objektiv gesehen, aus klinischer Sicht, schizophren bin. Jahrelang hat man mir eingebleut, ich sei es, und jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.«
    Die Psychologin schwieg einen Augenblick. Sie betrachtete mich ernst, was ich eher beruhigend fand. Ich suchte in meiner Tasche nach meinen Camel.
    »Darf ich rauchen?«
    »Nein.«
    Ich steckte die Packung wieder zurück.
    »Aufgrund welcher Symptome hat Ihr Psychiater behauptet, Sie seien schizophren?«, fragte sie mich schließlich.
    »Ich höre Stimmen in meinem Kopf.«
    Sie notierte etwas in ihr Heft.
    »Sind es Stimmen von außen, oder ist es Ihre eigene Stimme?«
    »Eher Stimmen von außen, die ich höre, wenn ich Krisen habe. Tatsächlich glaube ich, dass ich die Gedanken anderer Menschen höre.«
    Ich wagte nicht, ihr die Beispiele zu nennen. Doch eines konnte ich nicht vergessen. »Transkranielle Augen, 88, die Zeit des zweiten Boten ist gekommen …«
    »Ich verstehe. Gut, wenn Sie danach fragen, ja, das scheint wirklich eines der Symptome zu sein, die in DSM IV aufgeführt sind. Aber das genügt nicht, um zu sagen, dass Sie an Schizophrenie leiden.«
    »Was noch?«
    »Es gibt eine Menge Symptome, Monsieur, aber noch einmal: Diese Art Krankheit kann man nicht bei einem Gespräch diagnostizieren. Man braucht Zeit dafür. Und dann kennt man jetzt viel bessere Methoden. In manchen Fällen kann man sogar Gehirnaufnahmen machen.«
    »Ja, ich weiß, ich habe eine Menge machen lassen. Jahrelang. In der Praxis von Doktor Guillaume gab es so viele Aufnahmen von meinem Gehirn, dass sie daraus einen Comic hätten zusammenstellen können.«
    »Nun, zumindest haben Sie Ihren Humor nicht verloren.«
    Ich lächelte. Irgendwie gefiel mir diese Psychologin. Die Art, wie sie mit mir sprach, wie mit einem Erwachsenen. Nie hatten Doktor Guillaume, meine Eltern oder mein Chef so mit mir gesprochen. Für sie war ich immer ein Schizophrener, ein Kranker und folglich ein im Grunde genommen unverantwortlicher Mensch. Und zum ersten Mal schien mich diese Frau wie einen normalen Erwachsenen zu behandeln, der vielleicht ein psychologisches Problem hatte. Das war ganz neu für mich. Sie bezeugte mir im Gespräch eine Art Wertschätzung, eine unterschwellige Achtung, und ich fand das beruhigend. Beinahe befreiend.
    »Seien Sie so nett«, sagte ich zu ihr und beugte mich auf meinem Stuhl vor. »Ich weiß, es ist heikel, aber sagen Sie mir trotzdem, was Sie davon halten. Sagen Sie mir Ihre Meinung, Ihre persönliche Meinung. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich glauben soll.«
    »Monsieur Ravel, ich kann mir nicht so schnell eine Meinung bilden.«
    »Dann nennen Sie mir bitte die anderen Symptome, damit ich prüfen kann, ob sie auf mich zutreffen.«
    »Es gibt viele.«
    »Geben Sie mir einfach ein paar Beispiele, dann sehen wir weiter.«
    Sie seufzte erneut, zögerte, dann zuckte sie die Schultern und beschloss, mir zu antworten.
    »Es kann das Gefühl entstehen, dass Ihr Körper von jemand anderem kontrolliert wird, was manchmal unkontrollierte Bewegungen hervorruft.«
    »Nein. Das Symptom habe ich nicht.

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